Wer die Inserate der großen Autobörsen studiert, muss gerade bei hochwertigen Fahrzeugen nicht lange suchen, um auf den blumigen Zusatz „Vollausstattung“ zu treffen. Dabei handelt es sich oftmals nicht mehr als um ein Lockangebot. Eine echte Vollausstattung gibt es nur in Ausnahmefällen – wenn überhaupt.
Der Autoverkauf hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert – und zwar gewaltig. Die Händler stehen massiv unter Druck – egal, ob diese als freie Händler unterwegs sind, zu einer Vertriebsgemeinschaft oder gar einem Autohersteller gehören. Da die Margen bei vielen Neufahrzeugen gering sind, kommt dem Verkauf von Gebrauchtwagen zusammen mit Service und Wartung eine zentrale Bedeutung zu. Immer professioneller werden die Fahrzeuge bei den großen Onlinebörsen wie Mobile und Autoscout in Szene gesetzt oder in den sozialen Medien mit kurzen Streams angepriesen. Dabei hat sich eines nicht geändert, denn die Modelle werden wie auf dem Markt wie he und je mit ihren besten Eigenschaften in Szene gesetzt, um potenzielle Käufer zu locken.
Gerade bei Fahrzeugen höherer Segmente fällt dabei in Videobeiträgen oder Online-Inseraten oft der Begriff „Vollausstattung“. Damit will der Händler unterstreichen, dass das Fahrzeug bestens ausgestattet sei und im wahrsten Sinne des Wortes keinerlei Kundenwünsche offenlasse, weil der Erstbesitzer alle nur möglichen Sonderausstattungen bei der Fahrzeugkonfiguration erwählt habe, um das Auto seiner Träume maximal auszustaffieren. Diese von den Händlern so salbungsvoll beworbene Vollausstattung gibt es bei nahezu keinem Fahrzeug.
Bezahlbarer Luxus?
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In den meisten Fällen hat das Fahrzeug weder eine Voll- noch eine Komplettausstattung. Der Mercedes E 350 4matic der Baureihe W 212 aus dem Jahre 2014 ist fraglos gut ausgestattet und sein Verkäufer aus dem Großraum Frankfurt bewirbt ihn mehrfach in seiner Beschreibung und der Überschrift mit dem Zusatz „Vollausstattung“. Doch mit elektrischen Ledersitzen, Sitzklimatisierung vorn, Glasschiebedach, schlüssellosem Zugang und LED-Lichtsystem sowie weiteren Fahrerassistenzdetails ist der 3,5 Liter große Sechszylinder zwar edel unterwegs, aber weit entfernt von einer Vollausstattung. So fehlen ihm unter anderem Details wie Sitzheizung im Fond, elektrisches Heckroll, eine elektrische Heckklappe ebenso wie der Nachtsichtassistent oder eine Standheizung.
Der Autoverkäufer aus dem Großraum München bewirbt seinen BMW 750 Li xDrive von 2019 noch enthusiastischer. Neben dem zugegeben prächtigen 4,4-Liter-V8-Triebwerk in der Kombination mit Achtgangautomatik und Allradantrieb sei eine absolute Vollausstattung an Bord – Neupreis über 200.000 Euro. Ein Blick in die Liste der Extras zeigt ein imposantes Bild von Extras, doch auch hier gibt es nennenswerte Lücken. Elektrische Sonnenrollos rundum, klimatisierte Sitze, Sitzheizung hinten und 19-Zöller – alles an Bord. Doch hier fehlt zum Beispiel die verfügbare Einzelsitzanlage im Fond, Massagesitze hinten nebst Fond-Entertainment, einen belederter Dachhimmel oder das Sportpaket – bei vielen Kunden besonders beliebt. Derartge Beschreibungen gibt es nicht allein bei Luxusmodellen, denn auch VW Tiguan, Porsche Cayman oder Opel Astra werden regelmäßig mit dem Zusatz „Vollausstattung“ angeboten. Der Realität entspricht das zumeist nicht, weil Massagesitze, Sitzheizung im Fond oder Panoramadach fehlen.
Neues Design, neuer Grill, neue Ära!
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Doch was ist der Grund, weshalb die Händler gerne die eigenen Inserate mit dem Zusatz „Vollausstattung“ beschreiben? Vielfach wird in den Anzeigen selbstbewusst übertrieben – und zwar deutlich. Mit dem Begriff „Vollausstattung“ verbindet jeder eine nahezu endlose Reihe von Sonderausstattungen und der Kunde wird sich wohl nicht so gut auskennen, dass es gar keine ebensolche Komplettausstattung ist. Doch die blumigen Beschreibungen haben noch einen anderen Grund, weshalb es diese exklusivste aller Ausstattungen nicht gibt. Diese existiert oftmals nicht, denn nicht alle Sonderausstattungen lassen sich miteinander kombinieren und passen nicht mit allen Paketen zusammen. Gerade Details aus dem Luxusbereich lassen sich oftmals nicht mit Sportpaketen kombinieren. So hat der Sportsitz mit Alcantara-Sitzfläche kein Komplettleder und ist oftmals nicht mit einer Sitzklimatisierung zu bekommen. Das Karbondach eines BMW M4 lässt sich nicht mit einer Schiebedachoption kombinieren, die 20-Zöller nebst Schwellersatz passen eben nur zum Sportpaket oder der größte Radsatz war unter Umständen nicht mit einer Hinterachslenkung zu ordern. Viele Modelle sind mit besonders exklusiven Innendetails wie einem belederten Armaturenbrett oder einem Alcantara-Innenhimmel zu bekommen, der oftmals fehlt.
Power goes Dynamic
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Einfacher läuft es bei vielen Importeuren, die sich die unüberschaubare Zahl an Einzelausstattungen sparen und nur einige Pakete anbieten, die die Wünsche der Kunden treffen sollen. Hier gibt es auf dem Heimatmarkt oftmals nicht allein völlig andere Motoren, sondern auch andere Ausstattungsdetails, die in Europa nicht angeboten werden. Wer die Ausstattungsliste des möglichen Kaufobjekts überprüfen möchte, kann diese anhand der Fahrzeug-Identifizierungsnummer abrufen oder bei den Herstellern nachfragen. Hier gibt es auch eine Liste an Sonderausstattungen und jeder kann überprüfen, was bei der Auslieferung wirklich an Bord war oder ob einer der Vorbesitzer unter Umständen einzelne Sonderausstattungen nachgerüstet hat. Denn heißt es Vorsicht beim Gebrauchtwagenkauf, wenn komplexe Sonderausstattungen nachgerüstet worden sind. Oftmals handelt es sich um unprofessionelle Bastelarbeiten, die Probleme mit dem Bordnetz und der Elektronik bringen können.
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LED-Scheinwerfer, klimatisierte / beheizte Sitze oder ein anderes Soundsystem sind potenzielle Gefahrenquellen, die bei einer Inspektion durch eine Fachwerkstatt überprüft werden sollten, ob diese fachgerecht eingebaut wurden und mit entsprechenden Steuergeräten an die vernetzte Fahrzeugelektronik angepasst wurden. Mehr denn je gilt beim Autokauf – Augen auf, denn der Verkäufer will sein Produkt bestens in Szene setzen. Und das ist in den meisten Fällen weitab einer Vollausstattung.
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