Kerniger Krawallbruder oder sanfter Supersportler?

Fahrbericht: So fährt der neue Mercedes-AMG S 63 E Performance

Kerniger Krawallbruder oder sanfter Supersportler?: Fahrbericht: So fährt der neue Mercedes-AMG S 63 E Performance
Erstellt am 28. Juni 2023

Eine S-Klasse als PS-gewaltige AMG-Version? Was zunächst als kraftstrotzendes Nischenmodell erscheint, macht nicht nur hinter dem Lenkrad Spaß. Vor allem weil die Affalterbacher Techniker den ursprünglichen Charakter der Luxuslimousine nicht verfälschen.

Auch wenn sie in Affalterbach jetzt die Hände über den Kopf zusammenschlagen und „Blasphemie“ rufen, muss die Frage erlaubt sein, wozu man eine AMG-Version der S-Klasse braucht. Schließlich ist ein S 580 e als Plug-in-Hybrid mit 270 kW / 367 PS plus 110 kW / 150 PS des Elektromoduls ausreichend motorisiert. Warum also müssen es dann 590 kW / 802 PS und ein brutales Drehmoment von 1.430 Newtonmetern als Plug-in-Hybrid bei der AMG-Version sein? Bei der Beantwortung dieser Frage wird viel von der Tatsache abhängen, ob diese Limousine eine pure Krawallbüchse oder ein Luxusmobil ist, die den anspruchsvoll zu meisternden Spagat zwischen Dynamik und Komfort hinbekommt.

Ein V8-Motor sorgt beim Fahrer für Gänsehaut

Um das zu klären, führen wir uns zunächst mal die Zutaten des AMG-Menüs zu Gemüte. Das Filetstück ist der doppelt aufgeladene V8-Motor mit starkem Elektromotor mit 450 kW / 612 PS, der von einem 70 kW / 95 PS starken Elektromotor unterstützt wird, der für einen zehn Boost-Sekunden 140 kW / 190 PS freisetzt. Im Vergleich zu dem Sechszylinder im S 580 PHEV ist das schon mal eine Ansage. Der Antriebsstrang ist in Form eines P3-PHEVs angeordnet, bei dem der Elektromotor samt Zweiganggetriebe und des elektronischen Differenzials an der Hinterachse verbaut ist. Dass sich dort auch die Batterie befindet, schrumpft zwar der Kofferraum auf ein Volumen von 305 Litern, hilft aber der Gewichtsverteilung, die mit 47 zu 53 beziehungsweise 48 zu 52 (je nach Ausstattung) nahe an der perfekten Parität ist.

Die elektrische Reichweite spielt eigentlich keine Rolle

Das Diktat der Dynamik gilt auch für die einzelnen Komponenten. Die Kapazität der direkt gekühlten Hochleistungsbatterie erhöht sich von 6,1 auf 13,1 Kilowattstunden, was für eine vergleichsweise bescheidene Reichweite von maximal 33 Kilometern reicht. Weil die Dynamik über allem steht, geben die Akkus die Energie sehr schnell ab und nehmen Sie genauso zügig wieder auf. Um dieses Konzept umzusetzen, haben die Ingenieure einige Kniffe angewendet und besonders dünne Kühlmodule entwickelt, bei denen jede der 1.200 Zellen einzeln gekühlt wird. Insgesamt umfließen also 30 Liter einer besonderen Nicht-Leitenden-Flüssigkeit die Energiespeicher.

Dynamik steht an oberster Stelle

So wird sichergestellt, dass ich die Batterietemperatur bei idealen 45 Grad einpendelt. Das hilft nicht nur bei Zwischenspurts, sondern auch bei der Rekuperationsleistung, die vier Stufen umfasst und den Einsatz der analogen Bremse deutlich reduziert. Bei der stärksten Einstellung werden bis zu 90 kW Leistung in die Energiespeicher zurückgeschaufelt. Ergänzt wird die Agilitäts-Melange durch eine 48-Volt-Wankstabilisierung und die Hinterachslenkung, die die Räder mit maximal drei Grad einschlägt. „Wir konzentrieren uns auf die Dynamik, da reichen die drei Grad völlig aus“; erklärt AMG-Technikchef Steffen Jastrow. Dass die Ingenieure hinten 285er Walzen in den Radhäusern unterbringen mussten, spielt sicher auch eine Rolle.

Der S 63 E bleibt eine S-Klasse

Jetzt geht es an die Beantwortung der eingangs postulierten Frage und wir nehmen hinter dem Steuer Platz. Die Umgebung mit dem digitalen Instrumenten-Monitor, dem Head-up-Display inklusive dem fliegenden Navigationspfeilen und dem senkrecht stehenden 12,8 Zoll-Tablet-Touchscreen, ist vertraut. Auch wenn manche Grafiken im farbenprächtigen AMG-Stil etwas knalliger sind und sich Teile des Armaturenbretts deutlich sichtbar in der Windschutzscheibe spiegeln. Eine gute Sitzposition ist schnell gefunden und das Gestühl ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Während der Fahrt zeigt sich schnell, dass die AMG-Techniker schlau genug waren und den ursprünglichen Charakter der S-Klasse nicht verfälscht haben. Auch wenn die Fahrwerkabstimmung der Einkammer-Luftfeder und den adaptiven Dämpfern etwas straffer ist, ist die 2.520 Kilogramm schwere Limousine kein brettharter Sportler, sondern nach wie vor komfortabel. Auch wenn sich die Karosserie ab 120 km/h und in den Fahrmodi Sport und Sport plus um zehn Millimeter absenkt.

Die AMG S-Klasse startet bei knapp 210.000 Euro 

Beim Vorwärtsdrang gibt es angesichts der sportwagenähnlichen Werte wenig zu bemängeln. Nach 3,3 Sekunden sind aus dem Stand 100 km/h erreicht und auf Wunsch sind sogar 290 km/h drin. Diese Daten sind beeindruckend, doch auf der Straße ist der Mercedes AMG S 63 E Performance kein Tornado, der mit unbändiger Kraft nach vorne stürmt. Unter 2.700 U/min ist der Antritt nicht so fulminant, wie man aufgrund der mächtigen Leistungswerte vermuten möchte, ab 3.000 U/min gibt es dann kein Halten mehr und die E-Benziner-Power schiebt unerbittlich an. Allerdings läuft das Zusammenspiel zwischen dem Neunganggetriebe und dem elektrifizierten Antriebsstrang nicht immer hundertprozentig geschmeidig. Vor allem bei Teillast ruckelt es beim Fahrstufenwechsel bisweilen. Übrigens ist man rein elektrisch bis zu 140 km/h schnell, was locker ausreicht. Dass aber ein Auto, dass mindestens 208.392,80 Euro kostet, lediglich einen 3,7-kW-Onboarlader verbaut hat, verwundert dann doch etwas. Das schmälert aber nicht die breite Spreizung der Fahrmodi und den Spaß es macht, mit dieser S-Klasse schnell und komfortabel zu reisen. Das liegt auch daran, dass der Motor kein rüpeliger Krawallbruder ist, sondern satt und wohltönend klingt.

Das schnellste Sofa der Welt?

Das ist gut so, denn im AMG S 63 E-Performance fühlt man sich nicht nur hinter dem Lenkrad, sondern auch hinten rechts wohl. Das liegt nicht nur an den mega-bequemen Multikontursitzen inklusive Massagefunktion, sondern auch an der Kuschel-Kopfstütze und dem Dolby-Atmos-Sound. Dann noch einen klanggewaltigen Hollywood-Blockbuster auf den Bildschirm und schon befindet man sich im schnellsten Sofa der Welt. 

Datenblatt: Mercedes-AMG S 63 E Performance

22 Bilder Fotostrecke | Kerniger Krawallbruder oder sanfter Supersportler?: Fahrbericht: So fährt der neue Mercedes-AMG S 63 E Performance #01 #02

Typ: Limousine
Motor: V8 PHEV
Hubraum (cm3): 3.982
Leistung in PS (kW) bei U/min-1: 802 (590)
Max. Drehmoment (Nm) bei Umin-1: 1.430
Höchstgeschwindigkeit (km/h): 290
Beschleunigung 0-100 km/h (sek.): 3,3
Getriebe: AMG Speedshift MCT 9Gang
Antrieb: Allradantrieb
Treibstoffsorte: Super Plus
Tank (L): 76
Verbrauch EU-Drittelmix (l/100 km): 4,4
CO2-Ausstoß (g/km): 100
Gewicht, Herstellerangabe (kg): 2.520
max. Zuladung (kg): 550
Abmessungen (L/B/H): 5.336/ 1.921/ 1.515 (L/B/H)
max. Ladevolumen (L): 305
Preis (Euro): 208.392,80
Abgasnorm: Euro 6

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