Sportsfreund: 68er Mercedes-Benz 220 W115

Restomod im AMG 250 Style

Sportsfreund: 68er Mercedes-Benz 220 W115: Restomod im AMG 250 Style
Erstellt am 25. August 2023

Einen Mercedes-Oldtimer der Baureihe Strich-Acht zu pilotieren, ist schon etwas Schönes und ein Anblick, den man nicht nur gern, sondern immer noch relativ oft geboten bekommt. Mit einem Strich-Acht als Sportwagen im Stil seiner Zeit daherzukommen, ist auch schön anzuschauen - aber viel seltener zu sehen. Und historisch wertvoll ist der Anblick eines dynamisierten Strich-Acht ebenfalls, denn als AMG 250 verhalf die frisch aus der Taufe gehobene Tuning-Tüftel-Schmiede AMG von Hans Werner Aufrecht und Erhard Melcher dem Strich-Acht mit 2,5-Liter-Sechszylinder-Motor (W114) seit 1967 zu rassigen Sportwagen-Qualitäten. In der Literatur steht geschrieben, dass bis 1976 nicht mehr als 105 Exemplare des AMG 250 das Licht der Welt erblickt hätten. Peters 68er Mercedes-Benz 220 folgt dem AMG-Frühwerk in Look und Optik in authentischer Weise. Und selbst der 2-Liter-Motor dieses W115 - auch wenn es sich nicht um den Sechszylinder, den Aufrecht und Melcher seinerzeit für den AMG 250 aufmöbelten, handelt - wurde bei diesem Strich-Acht-Restomod-Projekt zum Kraftwerk.

Sportlich. Flott. Elegant: Die Strich-Acht-Baureihe, die zur oberen Mittelklasse gezählt wird, setzte Maßstäbe, welche für die ihr später nachfolgende E-Klasse prägend wurde. Der Strich-Acht war ein Mercedes für die Mitte der Gesellschaft. Er war bestimmt kein „Volkswagen“ mit Stern, aber volkstümlicher als jeder andere Nachkriegs-Pkw von Mercedes vor ihm.

Die Liebe zu dieser Baureihe wurde dem heute 57 Jahre alten Peter sozusagen in die Wiege gelegt. Er erzählt: „Ich bin mit einem Strich-Acht quasi aufgewachsen. Mein Vater hatte mehrere dieser Wagen. Bei meinem Stern Baujahr Januar 1968, den ich im Jahr 2003 erstand, handelt es sich um ein frühes Exemplar. Es hat laut Fahrgestellnummer die Produktionsziffer 1.212 von insgesamt 1.919.056 gebauten W114/W115 und wurde erstmals im Januar 1968 von einem Mercedes-Autohaus in der französischen Hauptstadt Paris zugelassen.“

Namensforschung: Warum heißt es eigentlich Strich-Acht?

Zur Erinnerung: Strich-Acht oder Strichacht ist eine bei Daimler in der Schreibweise „/8„ hausintern eingeführte Bezeichnung zur Abgrenzung des bis Frühjahr 1968 noch produzierten Heckflossen-Vorgängermodells W110. Die Bezeichnung „/8„ verwies auf das Erscheinungsjahr der Baureihe im Jahr 1968. Die Vierzylinder- und Fünfzylinder-Ausführungen bildeten die Baureihe W115. Die Sechszylindervarianten erhielten die Baureihenbezeichnung W114 und bekamen zur besseren Unterscheidung von BR114 eine Kühlermaske mit einem grobmaschigeren Gitter, wie es seit 1968 auch die Typen 280 S und 300 SEL 6.3 trugen.

Restomod. Rassig, sportlich.

Peter hat seinen Mercedes-Benz 220 mit einem AMG-Emblem am Heck geadelt. Irreführend etikettiert ist sein Strich-Acht damit nicht. Dass AMG mit dem 250/8 (W114) seinerzeit tatsächlich einen Sportumbau im Wolf-im-Schafspelz-Look auf die Räder gestellt hat, dürfte vor allem für jüngere Mercedes-Fans eine neue Information sein. Für das Tuning des W114 hatte AMG damals drei Kits/Leistungsstufen im Angebot. Die letzte Ausbaustufe 3 mit dem Boost des 2.496-ccm-Sechszylinder-Motors von 130 auf 200 Pferdestärken war mit Austausch der Zylinderköpfe mit höherer Verdichtung, Hubraumerweiterung auf 2,8 Liter, 305-Grad-Sportnockenwelle, geänderten Brennräume, vergrößerten und geänderten Kanäle, bearbeiteten Ventilen, modifiziertem Krümmer, vergrößertem Saugrohr und einem Umbau auf die elektronische Einspritzung des 250 CE die aufwändigste Kraftkur.

Zu den weiteren Tuningmaßnahmen gehörten ein geändertes und gekürztes Fahrwerk sowie 7-Zoll-Sportfelgen und innenbelüftete Scheibenbremsen VA. Wer von AMG alles an dem W115 machen ließ, dem wurden eine Steigerung der Höchstgeschwindigkeit von 175 km/h auf 210 km/h in Aussicht gestellt.

Zu viele Fans fand das AMG-Frühwerk damals nicht. Ganze 105 Kunden gönnten sich den AMG Mercedes 250 zum Gesamtpreis von 27.500 DM. Das war eine Menge Geld für das Sportprogramm. Der Listenpreis bei Mercedes-Benz für den Mercedes 250 betrug im Jahr 1968 exakt 14.630 Euro. Damit war der von AMG mit allem gepimpte Strich-Acht also fast doppelt so teuer und übrigens um einiges kostspieliger als zum Beispiel das 225 km/h schnelle Porsche 911 Coupé des Modelljahres 1968, für das seinerzeit ein Einstiegspreis von 24.480 DM zu bezahlen war.

Peters Strich-Acht ist ein Restomod im Stile des AMG 250. Nachdem er das Auto im Jahr 2003 in seinen Besitz bekommen hatte, ging es zunächst an die Restaurierung. Der Wagen wurde bis auf die letzte Schraube zerlegt. Was hin und hinüber war, wurde durch Neuteile ersetzt. Mittels kathodischer Tauchlackierung (KTC) bei BASF/Mannheim wurde allen Bleche des Benz ein umfassender Korrosionsschutz zuteil. Die Instandsetzungsarbeiten unternahm Peter zusammen mit der Hilfe eines guten Freundes samt und sonders in Eigenleistung.

Der 2.197-ccm-Vierzylinder-Motor von Peters 68er Mercedes-Benz 220 leistet ab Werk 105 PS. Dass in dem Triebwerk aktuell viel mehr Power innewohnt, hört man nicht nur an seinem kraftstrotzenden Klang, man sieht es ihm auch an. Wie viele Pferdestärken derzeit für den Vortrieb sorgen, mag Peter allerdings nicht preisgeben. Er will nur so viel sagen: „Die Beschleunigung ist infernalisch.“ Dass die Leistungssteigerung des 2,2-Liter-Vierzylindermotors durchaus nennenswert ausgefallen sein muss, verraten das Vorhandensein des 45er Weber-DCOE-Doppelvergasers, einer Kennfeldzündung sowie des 4-in-zwei Fächerkrümmers, der mit einer German-Exhaust-Edelstahl-Sportabgasanlage mit 2 x 45-mm-Endrohren hörbar gut verstöpselt ist. Ferner gehören Schmiedekolben, H-Schaft-Pleuel und eine Sportnockenwelle zu den leistungssteigernden Maßnahmen.

Wenn es schneller vorangeht, dann ist es gut, wenn die Bremen fester zupacken. Innenbelüftete Scheibenbremsen und Stahlflexschläuche erhöhen wirkungsvoll die Bremskraft der in Horizontblau lackierten Mercedes-Limousine. Zur Spur- und Linientreue des Strich-Acht bei hohen Geschwindigkeiten tragen die Tieferlegung mittels H&R-Federn (minus 45 mm vo/hi) sowie der Einbau von härteren Original-Mercedes-Benz-Tropendämpfer bei. Gummi gibt der Benz mit 205/55er Dunlop-Pneus. Sie sind auf Penta-AMG-Felgen in 7x15 ET11 vo/hi aufgezogen.

Der Innenraum des Mercedes-Restomods ist im Stil klassischer Sportlichkeit auf seine Insassen eingerichtet - aber nicht irgendwie, sondern sehr besonders. Dem Auge fällt sofort der Bezugsstoff der Sitze aus. Bei Leder und Karogewebe für die Stühle handelt es sich um originalgetreue Nachbildungen der Bezugsstoffe des Stirling-Moss-Mille-Miglia-Siegerfahrzeugs Mercedes-Benz 300 SLR „722“ aus dem Jahr 1955.

Lenken wie Sau

Mit dem Lenkrad befindet sich in Peters Strich-Acht eine weitere Reminiszenz an eine frühe große Sternstunde im Motorsport mit Mercedes-Beteiligung. Peter berichtet, dass es sich bei dem Volant um ein seltenes Original-AMG-Lenkrad handeln, mit dem auch die Fahrer Hans Heyer und Clemens Schickentanz beim 24-Stunden-Renner in Spa-Francorchamps 1971 ihren AMG 300 SEL 6.8 - auch als Rote Sau bezeichnet - zum Klassensieg lenkten und durch diesen Erfolg die Tuningschmiede AMG über Nacht weltbekannt machten. Viele Exemplare dieses AMG-Volants hat es nicht gegeben. Man sagt, man könne sie an einer Hand abzählen. Für die runde Rarität werden, wenn sie denn als AMG-Original angeboten werden, ziemlich deftige Preise im deutlich vierstelligen Bereich aufgerufen. Man merkt nicht zuletzt auch daran, dass der 68er Mercedes-Benz 220 Restomod seinem Besitzer lieb und teuer ist.

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