Wie stark ist die Konkurrenz: Der Nio ET7 im Test

EQS auf Chinesisch?

Wie stark ist die Konkurrenz: Der Nio ET7 im Test: EQS auf Chinesisch?
Erstellt am 10. Oktober 2022

Das chinesische Automobil-Start-up Nio wagt den Tigersprung nach Deutschland. Damit dieses Vorhaben auch gelingt, soll die Limousine ET7 für Aufsehen sorgen. Wir haben die Nio-Speerspitze getestet und fanden viel Licht, aber auch Schatten.

Der Nio ET7 ist ein ansehnliches Auto. Das Design mit den schmalen LED-Schlitzen vorne, der coupéhaften Silhouette sowie dem schmalen Lichtband hinten kaschiert, dass der chinesische Stromer mit einer Länge von 5,10 Metern ein mächtiges Vehikel ist. An Selbstbewusstsein mangelt es den Chinesen also nicht. Wer sich im Haifischbecken von BMW i7 und Mercedes EQS behaupten will, muss mit breiter Brust auftreten. Die Asiaten machen aus ihren Ambitionen keinen Hehl. Das zeigen auch die deutlich sichtbaren Gehäuse auf dem Dach.

Nio drängt auf den europäischen Markt

Der vermeintliche Designmakel entpuppt sich als Versprechen in die Zukunft und ein Zeichen der Nio-Diktion, moderne Technik deutlich zu präsentieren. Die Hörner beherbergen Sensoren, die für das autonome Fahren wichtig sind. Insgesamt 33 Sensoren hat der ET7 an Bord, darunter einen LIDAR-Radar, elf Kameras (darunter sieben 8-Megapixel-Kameras), fünf Millimeterwellen-Radars und zwölf Ultraschallsensoren. Auch beim Robo-Fahren geben sich die Asiaten nicht mit halben Sachen zufrieden, in dem Fall den Autobahnassistenten, der bis maximal 60 km/h das Steuer übernimmt. „Wir haben schon den nächsten Schritt im Visier“, sagt Mirko Reuter, der früher bei Audi am autonomen Fahren getüftelt hat und jetzt beim chinesischen Start-up das Zepter bei dieser Disziplin in der Hand hält. Die nächste Stufe des automatisieren Fahren hat die Bezeichnung UN R 157 und beinhaltet autonomes Fahren bis 130 km/h und den selbsttätigen Spurwechsel. Bis dahin muss man sich mit Helfern wie den adaptiven Tempomaten, den Spurhalteassistenten oder den Querverkehrswarner zufriedengeben.

Eine Semi-Feststoffzellenbatterie soll noch kommen

Genug der Vorrede. Wir haben uns für einen Nio ET7 mit der kleineren 75 Kilowattstunden-Batterie entschieden, die laut Nio eine Reichweite von 385 bis 445 km ermöglicht. Bei uns zeigt das Display einen Ladezustand von 88 Prozent und 393 Kilometer an. Passt also. Wer sich für die 100 kWh-Akkus entscheidet, kommt zwischen 505 und 580 Kilometer weit. Nio hatte geplant, am Ende des Jahres beim ET7 eine Feststoffzellenbatterie anzubieten. Wir fragen bei William Li nach. Der Nio-Gründer bestätigt, dass im ersten Quartal des nächsten Jahres der ET7 eine Semi-Feststoffzellenbatterie mit einer Kapazität von 150 Kilowattstunden bekommt, bei der sowohl flüssige als auch feste Substanzen enthalten sind. Das wird dann sicher der Reichweiten-Meister, zumal die Nio-Limousine mit einem von 0,208 in der ersten Liga spielt.

Alle Knöpfe sollen verschwinden

Moderne Technik ist beim ET7 allgegenwärtig. Sind die automatischen Türöffner, bei denen man nur die Hand zwischen Karosserie und dem ausgefahrenen Griff stecken muss, noch eine witzige Verspieltheit, schießen die Nio-Infotainment-Experten im Bestreben, möglichst alle Knöpfe aus dem Cockpit zu verbannen, bisweilen über das Ziel hinaus. Denn die Menüs sind oft zu verschachtelt und dass man die Außenspiegel sowie das Volant mit dem 12,8 Zoll großen Touchscreen in Zusammenspiel mit Lenkradtasten verstellen kann, ist zumindest gewöhnungsbedürftig. Es ist offensichtlich, dass Tesla bei diesem Konzept Pate gestanden hat, allerdings fehlt noch Feinschliff. Auch das putzige Kugel-Tamagotchi quasselt viel auf Englisch und hebt beim Überschreiten der erlaubten Geschwindigkeit mahnend den Zeigefinger. Auf Wunsch schweigt der Assistent aber auch.

Zu viel Hartplastik

Der entschlackte Innenraum beeindruckt mit viel Leder. Aber auch in China gelten in Zeiten steigender Arbeitslöhne die Gesetzte der Betriebswirtschaft. Das Armaturenbrett ist unter dem schmucken Lederbezug wenig unterschäumt und besteht dann zur Windschutzscheibe hin aus Hartplastik. Dort tut sich ein deutlich sichtbarer rechteckiger Krater auf, der das Head-up-Display beherberg. Das erledigt seinen Job, erreicht aber nicht ganz die technische Ausgereiftheit der deutschen Konkurrenz. Augmented Reality mit den fliegenden Pfeilen ist noch kein Thema.

Fahrwerk Top, Lenkung Flop

Das schaut beim Fahrwerk mit den Luftfedern und den adaptiven Dämpfern anders aus. In dieser Disziplin schlägt sich der Nio ET7 ziemlich gut. Egal ob straffer (beim Sport+-Fahrmodus) oder weicher (bei Comfort), das Chassis ist harmonisch abgestimmt und kommt mit allen Straßenbeschaffenheiten gut zurecht. Das macht sich vor allem auf dem Chef-Sessel hinten rechts positiv bemerkbar, auf dem man sich über viel Bein- sowie Kopffreiheit und wenig Vertikalbewegungen der Karosserie freut. So positiv schneidet die Steuerung nicht ab. Die agiert aus der Mittellage heraus ziemlich nervös reagiert, nur um dann indirekter zu werden. So lange man entspannt im Verkehr mitschwimmt, fällt das nicht weiter ins Gewicht.

Das leistet der Nio ET7

Dynamisch bringt ET7 einiges mit. Das geht schon mit der schieren Kraft von 480 kW / 653 PS und einem brachialen Drehmoment von 850 Newtonmetern los, die ein Allradantrieb auf den Asphalt bringt: Vorne sind es 180 kW / 245 PS und hinten 300 kW / 408 PS. So wird die 2.359 Kilogramm schwere Limousine aus dem Stand in 3,8 Sekunden auf Landstraßentempo gewuchtet und ist bis zu 200 km/h schnell. Damit ist man auch im zurückhaltenden Eco-Fahrmodus flott unterwegs. Die Kombination aus Fünflenker-Vorderachse und einer Multilink-Hinterachse verspricht souveräne Agilität und hält diese Zusage auch. Nur wenn es mal schneller um engere Landstraßenkurven geht, lässt sich das Gewicht nicht verleugnen und der Nio ET7 schiebt freundlich über die Vorderachse. Dann zeigt sich auch, dass die gemütlichen Lounge-Sessel vorne eher zum Cruisen gemacht sind und nicht zum Fixieren des Oberkörpers des Fahrers.

Batterien sollen in 5 Minuten getauscht werden

Beim Verbrauch macht sich die Aerodynamik positiv bemerkbar: Nio gibt ein Fenster von 19,3 bis 22.3 kWh/100 km an, wir kamen bei unserer Testfahrt, bei der wir länger auf Autobahnen unterwegs waren und auch mal die Höchstgeschwindigkeit ausprobiert haben, auf 18,9 kWh/100 km. Die 75 kWh-Akkus können per 11 kW-AC-Wallbox oder an einem DC-Gleichstromlader mit lediglich maximal 130 kW gefüllt werden. Das dauert dann eine halbe Stunde (10 bis 80 Prozent). In Zukunft soll diese Prozedur bei Nio ohnehin obsolet werden, da die Batterien innerhalb von fünf Minuten an einer Wechselstation getauscht werden können. Allerdings wird es noch etwas dauern, ehe ein dichtes Netz in Europa gespannt ist. Ende 2023 sollen es mehr als 120 sein.

Je älter, desto billiger

Beim ET7 bleibt Nio seiner Maxime „Flexibilität ist das neue Premium“ treu und setzt auf verschiedene Abo-Modelle. Mit einem flexiblen Vertrag kann man das Auto und die Batterie so oft wechseln, wie man möchte. Die monatliche Rate reduziert sich, wenn das Auto älter wird. Die Dauer liegt zwischen einem und fünf Jahren. Wenn man einen festen Abo-Vertrag für drei Jahre abschließt, kostet der Nio ET7 mit der 75 kWh-Batterie 1.199 Euro im Monat. Die flexible Variante beginnt bei 1.549 Euro an, wobei die Rate - wie gesagt - mit zunehmendem Alter des Autos abnimmt.

Datenblatt Nio ET7

Typ: Elektro-Limousine
Motor: Zwei E-Maschinen
Leistung in PS (kW) bei U/min-1: 653 (480)
Max. Drehmoment (Nm) bei Umin-1: 850
Höchstgeschwindigkeit (km/h): 200
Beschleunigung 0-100 km/h (sek.): 3,8
Getriebe: Automatk
Antrieb: E-Allrad
Tank (L): 75 kWh
Verbrauch EU-Drittelmix (l/100 km): 19,3 bis 22.3 kWh/100 km
CO2-Ausstoß (g/km): 0
Gewicht, Herstellerangabe (kg): 2.359
Abmessungen (L/B/H): 5.101 / 1.987 / 1.509 (L/B/H)

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