Weltspiegel: Das planen die Autobauer in Russland

Düstere Zukunft

Weltspiegel: Das planen die Autobauer in Russland: Düstere Zukunft
Erstellt am 7. März 2022

Der Krieg in der Ukraine hat unmittelbare Auswirkungen auf den Automobilstandort Russland. Nicht nur das Nachbarland liegt in Trümmern, sondern auch der Automarkt des größten Landes der Erde. Die wirtschaftlichen Aussichten sind mehr als trübe.

Die Bilder, die im April des Jahres 2019 aus Moskau um die Welt gingen, zeugen von Harmonie. Zur Eröffnung des Mercedes-Werkes nahe Moskau waren der damalige Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche und Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier eigens nach Moskau gereist. Der russische Präsident Vladimir Putin gab sich die Ehre und gemeinsam drückte man den Start-Knopf für die Produktion. Über 250 Millionen Euro hatte der deutsche Autobauer in die Hand genommen und mehr als 1.000 Mitarbeiter sind in der Fabrik und Verwaltung beschäftigt. „Das Mercedes-Benz Werk Moscovia ist ein weiterer Baustein unserer Strategie, dort zu produzieren, wo unsere Kunden sind. Und davon profitieren beide Partner: Russland und Mercedes-Benz“, strahlte Dieter Zetsche optimistisch. Wachsen und im Zukunftsmarkt Russland Geld verdienen – das war der Plan.

Heute ist dieses Vorhaben gescheitert. Zumindest vorerst. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine stellt Mercedes die Fertigung in Russland ein und wird auch keine Autos mehr nach Russland exportieren. Identische Maßnahmen haben die Bayerischen Motoren Werke, die das Werk in Kaliningrad dichtgemacht haben und VW ergriffen. Für die Münchner und Mercedes sind die wirtschaftlichen Folgen überschaubar. Beide Autobauer setzen pro Jahr 49.000 (BMW) beziehungsweise 50.000 (Mercedes) Fahrzeuge. Wenn man sich vor Augen hält, dass beide Hersteller pro Jahr mehr als zwei Millionen Autos verkaufen, ist dieser Ausfall zu verkraften. Anders beim VW-Konzern, mit einem Marktanteil von zwölf Prozent beziehungsweise 204.000 Fahrzeugen in Russland engagiert ist.

„Der Grad der Auswirkungen auf unsere Geschäftstätigkeit wird fortlaufend durch Experten in einer konzernweiten Task Force ermittelt. In den kommenden Tagen und Wochen werden wir auf Sicht fahren müssen und die Lage kontinuierlich neu bewerten. Bereits betroffen sind die Lieferketten einiger deutscher und auch europäischer Werke“, lässt Volkswagen verlauten. Im größten Land stehen alle Bänder still, der Rubel fällt ins Bodenlose und die US-Ratingagenturen Fitch und Moody's haben Russlands Kreditwürdigkeit mittlerweile auf "Ramsch"-Niveau herabgestuft. „Das Anlagevermögen von Automobilherstellern und Zulieferern dürfte in Russland erheblich an Wert verlieren. Die Automobilindustrie wird für viele Jahre keine relevanten Investitionen in Russland tätigen“, stellt Professor Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) fest.

Aus dem verheißungsvollen Zukunftsmarkt, der zuletzt mit rund 1,67 Millionen verkaufter Autos nur noch ein Schatten seiner selbst war, wird jetzt ein Provinzschauplatz. Zumal sich der Absatz nach Ansicht des Berylls-Experten Dr. Jan Dannenberg noch weiter verringern wird: „Ich halte weniger als eine Million Neuzulassungen pro Jahr durchaus für realistisch.“ Das sind alles andere als rosige Aussichten. Selbst wenn Autos verkauft würden, bleibt die Frage, wie diese bezahlt werden. „Wir gehen davon aus, dass es mit dem finalen Inkrafttreten des Ausschlusses russischer Banken vom internationalen Zahlungssystem Swift zu stärkeren Einschränkungen im Zahlungsverkehr mit russischen Importeuren und russischen Lieferanten kommen kann“, sagt VW. Letztendlich hieße es dann „Ware gegen Cash“. Angesichts des Rubel-Tiefflugs ist das keine echte Option.

Vor allem die Renault-Gruppe ist von den Wirtschaftssanktionen hart getroffen. Die Renaulution-Strategie sieht vor, dass der russische Autobauer Avtovaz und Dacia zwar zwei eigene Geschäftseinheiten bleiben, aber bei den Synergien näherzusammenrücken und beide die CMF-B Plattform nutzen. Zusammen sollten beide Marken mehr als eine Million Autos, die auf dieser Architektur basieren, produzieren. Avtovaz soll bis 2025 vier neue Modelle auf den Markt bringen, darunter 2024 den neuen Lada Niva. Was mindestens genauso schwer wiegt, ist, dass Lada von dem prognostizierten Wachstum des russischen Marktes profitieren und dabei seine Marktführerschaft mit einem Anteil von über 20 Prozent weiter ausbauen sollte. Durch die harte ökonomische Zäsur gerät diese Strategie massiv ins Wanken. Milliardenverluste drohen. „Sobald Automobilhersteller wie Renault mit russischen Unternehmen kollaborieren müssen, wird ein sehr großes Fragezeichen hinter diese Strategie gestellt werden“; stellt Berylls-Experte Dr. Jan Dannenberg klar und ergänzt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein europäischer Hersteller wie Renault einfach sagt: Es bleibt beim business as usual. Die Situation ficht uns gar nicht an, wir machen weiter wie bisher. Wenn sich seitens der russischen Regierung und des Krieges nichts Wesentliches ändert, wird es zu einem Abbruch der Geschäftsbeziehungen kommen!“ Diese Vorgehensweise dürfte bei den anderen Herstellern wie auch Toyota, die sich in Russland engagieren, ähnlich sein.

Der Einbruch des Automobil-Geschäfts ist eine Sache, doch genauso hart trifft es die Zulieferketten. Aufgrund fehlender Kabelbäume, die Zulieferer des Konzerns in der Ukraine fertigen, muss Mercedes die Fertigung im Werk Sindelfingen drosseln, wo die E-Klasse, S-Klasse und EQS vom Band laufen. Ähnlich trifft es die anderen. BMW erwartet Lieferengpässe und sogar Produktionsstopps, ebenso wie Porsche, wo in Leipzig die Fertigung unterbrochen werden muss. „Kurzfristig wird es darum gehen, alternative Lieferquellen aufzumachen. Das sind in der Regel die gleichen Unternehmen wie bisher, die künftig an anderen Standorten fertigen lassen“, sagt Jan Dannenberg und gibt mit dem nächsten Atemzug eine wenig verheißungsvolle Prognose: „Für mich ist klar, dass mindestens ein Jahr lang nicht mehr aus der Ukraine geliefert wird.“ Dass dieser Zustand für Automobilhersteller, wo es um Milliardenwerte geht, kein tragbarer Zustand ist, dürfte jedem klar sein. Solange in Russland ein Regime das Sagen hat, bei dem kriegerische Auseinandersetzungen als legitimes Mittel der Politik angesehen werden, wird es sich die Automobilindustrie zweimal überlegen, ob sie in Russland noch im großen Stil investiert. Zumal die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen überschaubar ist.

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