Vor 75 Jahren stimmen die Alliierten der Wiederaufnahme der Pkw-Produktion zu

Ab November 1945 darf Daimler-Benz wieder Autos bauen

Vor 75 Jahren stimmen die Alliierten der Wiederaufnahme der Pkw-Produktion zu: Ab November 1945 darf Daimler-Benz wieder Autos bauen
Erstellt am 13. November 2020

Es ist ein wegweisendes Datum für die damalige Daimler-Benz AG: Im November 1945 erteilt die Wirtschaftsbehörde der US-Besatzungszone dem Stuttgarter Automobilhersteller die Produktionserlaubnis für Pritschenwagen, Kastenwagen und Krankenwagen auf Basis des Personenwagens 170 V (W 136), den das Unternehmen ursprünglich 1936 vorgestellt hat.

Im Frühjahr 1946 wird die Lizenz auf den Personenwagen erweitert. Im Mai 1946 verlässt ein Pritschenwagen als Erstes von 214 in jenem Jahr hergestellten Fahrzeugen die Endmontage im Werk Sindelfingen. Im Juni folgen der erste Kastenlieferwagen, im September ein Krankenwagen und im Oktober ein Polizeistreifenwagen. An den Stückzahlen und Zeitabständen ist zu erkennen, dass die Produktionsbedingungen alles andere als normal sind. Erst Mitte 1947 folgt den kleinen Nutzfahrzeugen die viertürige Limousine 170 V. Wie wichtig die erneute Produktionsaufnahme für das Unternehmen wie Öffentlichkeit ist, zeigt auch die vorhandene Pressefotodokumentation: Trotz der damals mageren Jahre ist sie umfangreich.

Nach der behördlichen Genehmigung handelt das Unternehmen rasch. Es entscheidet, die schon vor dem Krieg geplante Verlegung der Pkw-Endmontage von Untertürkheim nach Sindelfingen zu verwirklichen. Denn der Transport von Karosserien aus Sindelfingen ins Neckartal nach Untertürkheim ist aufwendiger als die Spedition der Antriebskomponenten von Untertürkheim nach Sindelfingen. Am 22. Februar 1946 ist im Werk Untertürkheim ein Vierzylinder M 136 der erste nach dem Zweiten Weltkrieg gebaute Motor. Das 1,7-Liter-Aggregat bietet eine Leistung von 28 kW (38 PS).

 Die in großen Stückzahlen bewährte Basis der ersten Nachkriegsfahrzeuge liefert die von 1935 bis 1942 hergestellte Limousine 170 V (W 136). Der Krankenwagen hat die meisten Parallelen: Die Hinterachsübersetzung bleibt unverändert, ebenso die Größe von Felgen und Reifen (3,50 D x 16 und 5,50 x 16). Hier wie dort liegt die Höchstgeschwindigkeit bei 108 km/h. Das zulässige Gesamtgewicht beträgt rund 1,5 Tonnen. Bei den Pritschen- und Kastenwagen wird der x-förmige Ovalrohrrahmen für eine erhöhte Stabilität verstärkt und ist daher 40 Kilogramm schwerer. Die Nutzlast beträgt 750 Kilogramm und das Gesamtgewicht knapp zwei Tonnen. Als Felgendimension haben die Ingenieure 4,25 E x 16 gewählt und bei den Reifen 6,50 x 16. Die Hinterachsübersetzung wird mit dem Ziel akzeptabler Fahrleistungen kürzer ausgelegt. Deswegen beträgt die Höchstgeschwindigkeit beider Nutzfahrzeuge lediglich 80 km/h.

 

Die Fahrzeuge sind äußerst einfach ausgestattet. Beispielsweise ist das Interieur sehr funktional gestaltet, und beim Exterieur sucht man verchromte Teile vergebens. Das unterstreicht, wie sehr es bei dieser Produktion um das Erfüllen von Basisbedürfnissen für Transport und Mobilität geht. Der herrschende Materialmangel birgt zusätzliche Erschwernisse. So werden die Fahrzeuge ohne Reifen ausgeliefert – diese muss der Kunde aus anderer Quelle beibringen.

 Beim Karosserieaufbau der Nutzfahrzeugvarianten des 170 V muss aufgrund Materialmangels improvisiert werden. Bleche gibt es kaum. So besteht das spartanische Fahrerhaus als separate Baueinheit aus einer einfachen, jedoch immerhin leichten Holzfaser-Hartplattenkonstruktion, wie schon zu Kriegszeiten bei einigen Lastwagen. Als Seitenscheiben kommen Schiebefenster zum Einsatz, die Türen werden mit simplen Kastenschlössern arretiert. Nicht zuletzt mangels Isolation ist es insbesondere im Winter kalt in diesen Fahrerhäusern – aber wenigstens ist man gegen direkten Fahrtwind geschützt. Die Armaturen mit schwarzem Zifferblatt entsprechen zunächst den Instrumenten der früheren Wehrmachtkübelwagen. Ans Fahrerhaus schließt sich je nach Verwendungszweck eine Pritsche, ein Kasten- oder ein Krankenwagenaufbau an. Die Polizeipritschenwagen erhalten Plane, Spriegel und auf der Ladefläche zwei gegenüberliegende Sitzbänke. Nach der Anlaufphase ergeben sich dann doch vorzeigbare Stückzahlen: Bis zum Jahresende 1946 werden in verschiedenen Varianten 183 der kleinen Nutzfahrzeuge sowie 31 Krankenwagen gebaut.

Die Produktion der viertürigen Limousine 170 V startet im Juli 1947. Der Preis von 6.200 RM ist staatlich festgelegt. Doch die Neuwagen sind nicht auf dem freien Markt zu haben. Ein Fahrzeug – ob Personenwagen, Bus, Transporter oder Lastwagen – erhält in jenen Jahren nur, wer eine Notwendigkeit nachweisen kann. Der 170 V ist auch deshalb höchst begehrt, und so wird er auf dem Schwarzmarkt um ein Vielfaches höher gehandelt, er wechselt für 100.000 RM oder gar 120.000 RM den Besitzer. Dies ändert sich erst mit der Währungsreform im Juni 1948. Nun wird das Fahrzeug für 8.180 DM angeboten. Vom Juli 1948 an wird das Interieur wieder minimal eleganter, denn es kommen – wie bereits vor dem Krieg – elfenbeinfarbene Armaturen mit schwarzen Zahlen zum Einsatz. Die Gesamtbilanz für das Jahr 1947: Es werden immerhin 581 Personenwagen und 464 Lieferwagen hergestellt. Im Jahr 1948 steigt diese Zahl deutlich auf 4.500 Personen- und 616 Lieferwagen an. Danach geht es noch steiler bergauf, 1949 stellt Daimler-Benz von diesem damals einzigen Modell außerhalb der Lkw-Sparte 12.719 Personen- sowie 382 Lieferwagen her.

Im September 1943 präsentiert Daimler-Benz einen Holzgasgenerator für den 170 V, der nur 70 Kilogramm wiegt. Mit einer Füllung von 24 Kilogramm Holzkohle legt ein damit ausgerüstetes Fahrzeug 100 bis 130 Kilometer zurück. Auch nach dem Krieg ist Benzin zunächst noch knapp, Holz dagegen verfügbar. Die Holzgasanlage wird daher ab Januar 1946 erneut hergestellt.

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n den Jahren nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 wird die Wehrmacht rasch der größte Kunde der deutschen Automobilindustrie. Daimler-Benz stellt Ende März 1940 auf Kriegsproduktion um und produziert monatlich rund 1.000 Fahrzeuge auf Basis des Personenwagens 170 V vorwiegend als Kübel- oder Lieferwagen. Im November 1942 kommt die Serienproduktion der Personenwagen 170 V und 320 (W 142) ganz zum Erliegen. Weiterhin gebaut werden der Mannschaftswagen L 1500 A und der hauptsächlich als leichtes Feuerwehrfahrzeug verwendete 1,5-Tonnen-Lastwagen L 1500 S.

Im März und April 1945 besetzen die Truppen der Alliierten die Werke von Daimler-Benz. Am 8. Mai 1945 endet der Zweite Weltkrieg. Das Werk Untertürkheim ist zu 70 Prozent zerstört, das Werk Sindelfingen zu 85 Prozent, das Werk Gaggenau zu 80 Prozent, im Werk Mannheim sind es rund 20 Prozent der Industrieanlagen. Bereits am 20. Mai 1945 wird das Werk Untertürkheim wiedereröffnet. 1.240 Arbeiter und Angestellte gehen allerdings nicht ihren früheren Tätigkeiten nach, sondern beginnen mit dem Wiederaufbau von Gebäuden und Anlagen. Nutzfahrzeuge haben in dieser Zeit zunächst eine höhere Bedeutung als Personenwagen. Daher startet bereits im Juni in Mannheim erneut die Produktion des Dreitonnenlastwagens L 701 wie schon ab August 1944 als Lizenznachbau des Opel „Blitz“. Im August läuft in Gaggenau die Fertigung des 4,5-Tonners L 4500 wieder an. Zum Jahresende 1945 sind in allen Werken der Westzonen 12.850 Mitarbeiter beschäftigt. Ende 1946 sind es schon 17.850 Mitarbeiter.

Noch zwei Jahre nach Aufnahme der Pkw-Produktion in Deutschland stehen der Herstellung eines Automobils zahlreiche Hindernisse entgegen. In einer Presse-Information vom 20. Mai 1948 im Vorfeld der zum zweiten Mal ausgerichteten Exportmesse Hannover geht Daimler-Benz ausführlich auf politische wie wirtschaftliche Rahmenbedingungen ein. Ein Auszug: „Die letztjährige Exportmesse verhieß bekanntlich der Daimler-Benz A.G. insofern einen besonderen Erfolg, als es innerhalb weniger Tage gelang, Aufträge in Höhe von rund einer Million Dollar nach beinahe allen europäischen und zahlreichen Überseeländern hereinzunehmen. Von diesem Auftragsbestand konnte in den vergangenen Monaten nur ein Teil tatsächlich zur Auslieferung gebracht werden. Die Gründe hierfür sind mannigfach. Zunächst einmal erließen Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland, Holland, Österreich und Frankreich Einfuhrsperren, sodass in Europa nur Liefermöglichkeiten für die Schweiz, Belgien und Luxemburg verblieben.“ Hinzu kommen ganz andere Widrigkeiten, wie es weiter heißt: „Darüber hinaus ist die Exportfähigkeit [...] auch durch das Fehlen zahlreicher Hilfsmaterialien behindert. [...] Hierher gehören – um nur einige Beispiele zu nennen – Schleif- und Polierpaste, wasserfeste Schleifpaste, kurz Dinge, die zur Herstellung einer Hochglanzpolitur gehören. So wenig das Fehlen dieser Dinge den deutschen Käufer zu beeinflussen mag, so entscheidend sind sie dennoch für den Exportmarkt.“ Der Vorstandsvorsitzende von Daimler-Benz, Dr. Wilhelm Haspel, wendet sich mit diesen Worten an die Presse: „Die Industrie ist bei der Beschaffung von Holz, Textilien, Polstermaterial, Lack usw. in weitgehendem Umfang auf sich allein gestellt, da eine Zuweisung dieser Materialien überhaupt nicht oder völlig unzureichend erfolgt.“

Im Februar 1936 steht die Internationale Automobil- und Motorrad-Ausstellung (IAMA) in Berlin im Zeichen des Jubiläums „50 Jahre Automobilbau“. Zu den Exponaten gehört der Mercedes-Benz 170 V mit der internen Bezeichnung W 136. Das „V“ steht für den vorn eingebauten Motor, dementsprechend hat der ebenfalls erhältliche, aber weit weniger erfolgreiche 170 H (W 28) einen Heckmotor. Rückgrat der Neukonstruktion ist der x-förmige Ovalrohrrahmen, der bei größerem Radstand rund 50 Kilogramm leichter und zudem steifer ausfällt als der bis dahin verwendete Kastenrahmen. Aus damaliger Sicht ist das Fahrwerk sehr modern. Die Vorderräder sind einzeln an zwei quer liegenden Blattfederpaketen aufgehängt. Hinten kommt eine Pendelachse mit Schraubenfedern zum Zug. Der Motor M 136 mit 1.697 Kubikzentimetern Hubraum, stehenden Ventilen und Steigstromvergaser leistet 28 kW (38 PS). Um eine gute Laufkultur zu erzielen, ist das Triebwerk „schwebend“ in Gummi gelagert. Der M 136 gilt als anspruchslos und zuverlässig.

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Bei der Einführung des 170 V im März 1936 sind zahlreiche Karosserievarianten bestellbar: Limousine mit zwei und vier Türen, Cabriolet-Limousine, offener Tourenwagen mit zwei Türen (1938 abgelöst von der viertürigen Version), Cabriolet B und zweisitziger Roadster. Im Mai 1936 ergänzt das sportlich-elegante Cabriolet A die üppige Modellauswahl. Die Preisspanne reicht von 3.750 RM für die zweitürige Limousine bis zu 5.980 RM für das Cabriolet A. Vom ersten Vorserienexemplar im Juli 1935 bis November 1942 werden 91.048 Mercedes-Benz 170 V als Limousine oder offene Fahrzeuge hergestellt. So ist dieser Wagen das bis dahin mit Abstand erfolgreichste Modell des Unternehmens. In einem Prospekt von 1939 ist dieser Sachverhalt treffend formuliert: „Wie sehr dieser neue Wagentyp […] den Bedürfnissen des Automarktes entspricht, beweist die Tatsache, dass der Mercedes-Benz 170 V Verkaufsziffern erreicht hat, die für einen Wagen seiner Klasse bisher unbekannt waren.“

Der ab 1946 erneut produzierte 170 V ist nicht nur wichtig für die Mobilität der frühen Nachkriegsjahre. Er bildet auch die Ausgangsbasis für die ersten nach dem Krieg neu konstruierten Pkw-Modelle von Mercedes-Benz: Im Mai 1949 stellt Daimler-Benz auf der Exportmesse in Hannover den Mercedes-Benz 170 D vor. Er ist der erste Diesel-Pkw der Marke nach dem Krieg. Hinzu kommt der vom 170 V abgeleitete, größere und repräsentativere 170 S. Die kontinuierlich erweiterte Typenreihe bildet bis 1953 das Rückgrat der Pkw-Produktion des Unternehmens.

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