Aufstrebender Klassiker

Dampfhammer im Maßanzug: Mercedes-Benz SL 55 AMG R230

Aufstrebender Klassiker: Dampfhammer im Maßanzug: Mercedes-Benz SL 55 AMG R230
Erstellt am 9. September 2021

Als der Mercedes SL der Baureihe R230 im Jahr 2001 den kantigen Vorgänger ablöste, haderten manche mit dem vorläufigen Ende der Stoffmütze. Die AMG-Version des Klappdach-Roadsters räumte nachhaltig mit allen Agilitätsbedenken auf.

Auch an Sportlern nagt der Zahn der Zeit. Egal ob Leichtathlet oder Automobil. Ein ehemaliger Kraftprotz wird irgendwann mal von jüngeren Konkurrenten in die Schranken gewiesen. Selbst der unbestrittene Größte aller Zeiten, Muhammad Ali, tat sich am Ende seiner unvergleichlichen Laufbahn schwer und trat nach zwanzig Jahren Profiboxen mit einer traurigen Niederlage gegen Trevor Berbick ab. Doch der Mercedes SL 55 AMG hängt auch nach 16 Jahren nicht in den Seilen. Dieser SL AMG 55 kennt mit seinen 380 kW / 517 PS auch heute noch kaum Gegner und ist nach wie vor eine Naturgewalt.

5,5-Liter Kraftklotz im SL R230

Die Kraftquelle des automobilen Jungbrunnens trägt den Namen M113 E55 ML und ist ein neuentwickelter V8-Dreiventil-Motor mit Kompressoraufladung und 5.439 Kubikmeter Hubraum. Seine Premiere feierte das Aggregat als Antriebsquelle im Mercedes SL AMG 55 bereits 2001, also im gleichen Jahr, als der Mercedes SL (R230) den Vorgänger (R129) ablöste. Damals befeuerte das Triebwerk den Edelroadster noch mit nominell 350 kW / 476 PS, doch die AMG-Aficionados freuten sich über eine satte Leistungsstreuung nach oben. Ein neues Steuergerät, ein optimiertes Ansaugsystem und eine opulent dimensionierte Drosselklappe erledigten den Rest.

Muss stets gewartet werden: Das anfällige ABC-Fahrwerk

Ausgestattet ist der Mercedes SL mit allen technischen Feinheiten, die den Luxus-Roadster SL 500 zum Traum einer ganzen Generation machten. Das im kleinen Bruder seit 2001 verbaute ABC (Active Body Control) Fahrwerk besteht aus einer Kombination aus Hydraulik-Dämpfern sowie Stahlfedern und minimiert das Wanken in Kurven und Bremsnicken deutlich mehr, als das die reinen Stahlfahrwerke der damaligen Zeit tun. Das hilft auch der Power-Division: „AMG hat das Glück gehabt von uns eine gute Basis bekommen“, sagt Ingenieur Frank Knothe, der aber auch zugibt, dass das „ABC-Fahrwerk ein heißer Ritt für die Entwickler war“. Beim SL 55 AMG haben die Entwickler die Abstimmung noch einmal verfeinert und die Wankneigung verringert. Ergänzt wird das Fahrwerk durch die elektrohydraulische Bremse Sensoric Brake Control (SBC), die für jedes Rad den passenden Bremsdruck bereitstellt, so den Anhalteweg verkürzt und die Stabilität beim Verzögern verbessert, was bei einem Power-Paket wie dem SL 55 AMG nur von Vorteil ist. Zu Beginn hatte dieses System aufgrund seiner Anfälligkeit keinen guten Ruf, allerdings haben die Mercedes-Ingenieure diesem System die Zicken ausgetrieben. Die Exekutive bilden beim Basis SL 55 AMG an der Vorderachse 360 Millimeter große Bremsen mit Achtkolbensätteln.

Sportlich-luxuriös: Der SL 55 ist ein Dampfhammer im Maßanzug

Bei dieser Kraft und dem Sprintvermögen von null auf 100 km/h in 4,5 Sekunden grenzt es fast an Blasphemie, dass ein AMG-Mercedes bei 250 km/h eingebremst wird. Doch man konnte dem elektronischen Anker entfliehen, indem man das Performance Package orderte, bei dem das Fahrwerk noch straffer abgestimmt ist, die Bremsscheiben 380 Millimeter groß sind und 19 Zoll-Räder für den Grip sorgen. Apropos Traktion, damit das Heck nicht bei jeder schnellen Kurve den Fahrer überholt, hilft ein Differenzial mit einer Sperrwirkung von 30 Prozent den Zweisitzer auf der Spur zu halten. So ausgerüstet, durfte der Mercedes SL 55 AMG sogar bis 300 km/h schnell stürmen. Da solche Autos auch mal hart rangenommen werden, sorgen größere Lufteinlässe in der Frontschürze und ein zusätzlicher Kühler dafür, dass der Motor immer im richtigen Temperaturfenster bleibt.

Der 55er ist nochmal deutlich knackiger als der 500er

Dass der Mercedes SL der Baureihe R230 mit seinen ganzen Steuergeräten den technischen Kniffen die Krone der damaligen deutschen Automobil-Ingenieurkunst war, merken wir sehr schnell. Aber auch, dass der AMG eine ganz andere Hausnummer darstellt als der SL 500, der gegen diesen Sportler fast schon wie eine Sänfte wirkt. Um die fast zwei Tonnen Lebendgewicht agil um die Ecken zu wuchten und die Kraft des aufgeladenen Achtenders wenigstens einigermaßen auf den Asphalt zu bringen, ist das Fahrwerk straff abgestimmt und lässt den Fahrer kompromisslos und fast schon überdeutlich am Fahrbahnzustand teilhaben. Anders als der modellgepflegten 500er verrichtet beim AMG immer noch die Fünfgangautomatik ihr Werk, bei der das Innenleben auf den AMG-spezifischen Einsatzzweck optimiert wurde. Aufgrund der unbändigen Kraft des Motors und des knackigen Drehmoments von 720 Newtonmetern bremst das archaisch anmutende Getriebe den Affalterbacher Zweisitzer nicht ein.

Viel Fahrspaß kostete damals sehr viel Geld

Sobald es zur Sache geht, schlägt sich der Mercedes SL 55 AMG beachtlich. Die Lenkung ist direkter als beim 500er und das Fahrwerk samt dem erwähnten Sperrdifferenzial verrichten ihre Arbeit erwartet gut. Zumal der Achtzylinder-Motor nicht nur mit brachialer Leistung glänzt, sondern einer der leichtesten Aggregate mit dieser Topf-Anzahl seiner Zeit ist. Die Kopflastigkeit ist bei Weitem nicht so ausgeprägt wie beim Zwölfzylinder SL 65 AMG. Daher ist ein kein Wunder, dass sich der Mercedes SL 55 AMG beherzt einlenkt, mit viel Karacho um die Ecken schwingt, aber dennoch das stattliche Lebendgewicht nicht ganz verhehlen kann. Dazu kommt, dass der mächtige Motor, der nicht nur satt klingt, sondern auch derart vehement auf die Hinterräder einprügelt, dass man selbst bei trockenen Straßenverhältnissen gefühlvoll mit dem Gaspedal umgehen sollte. Ganz zu schweigen bei Regen. Aber dann verwandelt sich auch dieser SL innerhalb von 16 Sekunden in ein schmuckes Coupé. Allerdings hatte dieser Spaß mit fast 134.000 Euro seinen Preis.

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