Update: 01.08.2023: Das Ende der Volkstümlichkeit der Marke Mercedes-Benz
Gerade einmal zwei Wochen ist der Brandbrief der deutschen Mercedes-Händler an Top-Manager-des Mercedes-Vertriebs alt. Darin machten sie ihrem Unmut über die eingeschlagene Luxusstrategie Luft. Weil einerseits immerzu an der Preisspirale nach oben gedreht werde und andererseits es an Produktqualität mangele, blieben viele Seiten in den Auftragsbüchern seit Juni leer. Die Mercedes-Pkw-Preise seien zu hoch. Die Produktqualität nicht gut genug. Auf den Punkt gebracht, befürchten die deutschen Mercedes-Händler, „dass der Hersteller den deutschen Markt mit Vollgas gegen die Wand steuert.“
An Mercedes-CEO Ola Källenius, dessen Vertrag als Vorstandschef erst kürzlich bis Mai 2029 verlängert wurde, gehen solche Klagen vorbei. Er folgt unbeirrt den eingeschlagenen Weg hin zu hochpreisigen Produkten, wie er in einem Interview mit dem Handelsblatt (veröffentlicht am 27.07.2023) wieder einmal sehr deutlich zum Ausdruck brachte. "Ein Mercedes bietet mehr als ein Durchschnittsauto“, sagt der Mercedes-Chef und sieht darin die beste Begründung für hohe und robuste Preisniveaus für Mercedes Pkw. Darum werde sich Mercedes auch nicht an Rabattaktionen, wie Tesla sie vorgemacht hat, beteiligen, betont Källenius. Als begehrenswerteste Automarke der Welt, als die sich Mercedes-Benz derzeit vermarktet, habe man Rabatte nicht nötig. Wer ein Luxusprodukt wie einen Mercedes-Pkw sein Eigen nennen will, muss ihn sich nicht nur leisten können, er muss sich ihn auch leisten wollen. Je höher die Preise, desto begehrlicher die Produkte? Auf jeden Fall ist es Källenius`Ziel, von denjenigen, welche sich Luxusartikel leisten wollen und können, mehr zu verlangen. Wer einen guten und günstigen Neuwagen sucht, wird ihn es bei Mercedes schon bald gar nicht mehr finden. Dieser Gedanke ist es, der die deutschen Händler, wenn sie in die nahe Zukunft schauen, offenbar sehr beunruhigt. Autos nur für Haute-Volée der Gesellschaft? Ist das Brett nicht zu schmal und zu dünn und stehen nicht schon viele andere darauf - Lamborghini, Bugatti, Jaguar, Lotus, Porsche, Koenigseeg, Pagani, Range Rover, Bentley, Aston Martin, Ferrari, um nur einige zu nennen?
Billig war Mercedes nie, aber einen gewissen Grad der Volkstümlichkeit hat die Marke doch erreicht. Källenius will aber nicht, dass Mercedes-Benz volkstümlich ist. Volumenmodelle zu günstigere Preise, die es ermöglichen, dass sich auch Durchschnittsverdiener einen Mercedes leisten können, waren gestern. Diese Zeiten kommen vorerst nicht wieder.
Artikel vom 28. April 2022: Der Stern will Wenigen das Beste bieten. Abhängigkeit von China wächst
Als Ola Källenius im Mai 2019 Dieter Zetsche im Amt des Mercedes-Chefs nachfolgte, hatte er in den ersten Wochen scheinbar noch keinen Plan, dann aber eine Strategie und jetzt offenbar die Lösung, um bei Mercedes-Benz zum einen die Transformation erfolgreich zu gestalten und zum anderen selbst in Zeiten von Lieferkettenkrise und Halbleitermangel für starke Umsätze, Gewinne und Renditen zu sorgen. Ola Källenius fährt eine ebenso entschlossene wie konsequente E-Auto- und Luxusstrategie, die auf High-End-Fahrzeuge und hohe Verkaufspreise setzt. Das hat in wirtschaftlicher Sicht beim Stern im 1. Quartal 2022 zu ganz ausgezeichneten Zahlen geführt. Mit einer Umsatzrendite von gut 15 % und einem Nettogewinn von 3,9 Milliarden Euro in den ersten drei Monaten des Jahres hat Källenius die Finanzwelt überrascht. Die zeigt sich begeistert und bejubelt die Luxusstrategie von Mercedes-Benz als den goldrichtigen Weg. Doch zwei kritische Anmerkungen zum Mercedes-Erfolgskurs sollten im allgemeinen Beifalls nicht untergehen. Erstens: Durch die Favorisierung von Marge und umsatzstarken Pkw-Modellen in der Produktion in Zeichen des Halbleitermangels droht Mercedes-Benz die unter Dieter Zetsche mühsam erarbeitete Volkstümlichkeit des Sterns zu verlieren. Und zweitens: Fast 40 Prozent aller Pkw setzt Mercedes-Benz im ersten Quartal des Jahres 2022 in China ab. Ohne Zweifel macht sich Mercedes-Benz auf Gedeih und (hoffentlich nicht) auf Verderb vom Reich der Mitte abhängig.
Ola Källenius ist ein Meisterstück gelungen: Weniger Absatz (minus 10 Prozent) hat er vermeldet - und trotzdem hat er mehr Umsatz, Gewinn und richtig viel Rendite fürs 1. Quartal 2022 vorzuweisen. Wie ist ihm dieses Wunder geglückt? Die Fokussierung auf begehrte Top-End-Pkw- und -SUV, keine Rabatte mehr im Verkauf und eine Verknappung des Angebots im Top-End-Bereich, um hohe Preise durchsetzen zu können, sind drei Säulen, auf denen der Erfolg momentan ruht. Die Luxusstrategie ging zweifellos auf. Die Auslieferungen von Top-End-Fahrzeugen, zu denen Mercedes-Maybach, Mercedes-AMG, G-Klasse, S-Klasse, GLS und EQS gehören, stiegen im ersten Quartal des Jahres 2022 um 5 Prozent auf 78.000 Fahrzeuge. Die Leidtragenden waren aber die Mercedes-Kunden im Kompaktwagenbereich. Weil wichtige Mangelbauteile in die Produktion von High-End-Fahrzeugen umgeleitet wurden, verlängert sich ihre Wartezeit auf den ersehnten Mercedes-Neuwagen teilweise beträchtlich. Der Kummer dieser Kunden sind freilich seelische Kosten, welche das Konto von Mercedes-Benz derzeit offenbar kaum belasten. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechnet sich die Luxusstrategie ganz hervorragend. Und weil sie das derzeit tut, ist es das erklärte Ziel von Mercedes-Benz, sich mehr und mehr auf High-End und Marge zu verlegen. So dürfte es nicht mehr lange dauern, bis ein neuer Mercedes-Benz für den Durchschnittsbürger wieder zum unerreichbaren Traumauto wird.
Eine entscheidende Frage ist, ob die Luxusstrategie wirklich langfristig Mercedes-Benz zu tragen imstande ist. Dass die Verkaufszahlen für Mercedes-Benz in USA und Europa aktuell nicht mehr das sind, was sie mal waren, kann laut neuesten Studien damit zu tun haben, dass die Bedeutung von Luxusprodukten in diesen Regionen abnimmt, weil man sie hier in der Breite als kostspielige, lediglich dem Vergnügen und Prestige dienende Produkte ansieht. Luxus gerät in den Verdacht der Dekadenz. Nur in China ist das (noch) anders. Viele Neureiche, viele Aufsteiger, viel Statusbewusstsein gibt es hier. In China tragen viele Menschen ihren wirtschaftlichen Erfolg unverhohlen zur Schau. Davon profitiert Mercedes-Benz derzeit ungemein. Von im 1. Quartal 2022 verkauften 487.008 verkauften Mercedes-Pkw wurden 186.100 Fahrzeuge in China zugelassen. Chinas Anteil am Absatz von Mercedes-Benz Cars beträgt damit 38 Prozent! Über diese Zahl kann man sich für den Moment freuen. Sie vermag mit Blick in die Zukunft aber auch zu beunruhigen. Denn sie sollte Anlass sein, darüber nachzudenken, ob es seine gute Sache ist, sich zu 40 Prozent von voll und ganz in die Abhängigkeit des chinesischen Marktes zu begeben.
3 Kommentare
A.H.
1. August 2023 16:22 (vor einem Jahr)
R129Fan
11. Mai 2022 18:19 (vor über 2 Jahren)
Egide aus belgien
28. April 2022 22:21 (vor über 2 Jahren)
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