Die Mille Miglia kennt auch heute noch jedes Kind – selbst wenn diese seit Jahrzehnten nur noch als sportliche Touristenfahrt veranstaltet wird. Anfang des vergangenen Jahrtausends war die Prinz-Heinrich-Fahrt kaum weniger spektakulär. Wir blicken zurück und drehen eine Runde in dem einzigartigen Benz Prinz Heinrich Tourenwagen von 1910.
Sportwagen mit Kardanantrieb
Es ist kühl und feucht wie nahezu an jedem Morgen am malerisch schönen 17-Mile-Drive. Entlang des Küstenstreifens ist auf der Nobel-Halbinsel von Pebble Beach gegen 7 Uhr in der Früh nicht viel los. Im Gegenteil, denn einzig ein paar Jogger trampeln eher müde als enthusiastisch die sandigen Pfade entlang. Mit einem mechanischen Rattern erweckt der dunkelgrüne Benz Prinz Heinrich Tourenwagen zum Leben. Er hat keinen elektrischen Starter und muss nach kurzer Zündjustierung am Lenkrad manuell angeworfen werden. Diesmal macht das ein Elektrogenerator, der die damalige Muskelkraft ersetzt. Er läuft wie am ersten Tag. Im feuchten Nebel sieht der Tourer aus dem Jahre 1910 noch surrealer aus, als ohnehin schon. Ganz augenscheinlich spielte die Aerodynamik Anfang des 20. Jahrhunderts bereits eine gewichtige Rolle und so präsentiert sich der offene Sportler mit seinem zugegeben begrenzten Platzangebot für bis zu vier Personen als eine Mischung aus Rennwagen, Badewanne und Zigarre mit obligatorisch freistehenden Pneus und verkleidetem Wasserkasten am Kühler. Statt des verbreiteten Kettenantriebs ist der Prinz-Heinrich-Benz erstmals mit einem innovativen Kardanantrieb unterwegs.
Benz und die Prinz-Heinrich-Fahrt
Die Prinz-Heinrich-Fahrt, benannt nach Albert Wilhelm Heinrich von Preußen (1862 – 1929) dem jüngeren Bruder des damaligen deutschen Kaisers Wilhelms II., führte Anfang Juni 1910 über eine Strecke von mehr als 1.900 Kilometern von Berlin über Kassel, Nürnberg, Straßburg und Metz zurück nach Homburg. Benz brachte für diese dritte Langstreckentour im Jahre 1910 zehn vollkommen neu konstruierte Spezial-Tourenwagen mit aerodynamisch optimierter Karosserie an den Start, die – nicht unüblich – mit unterschiedlichen Motorvarianten ausgerüstet waren. Vier Fahrzeuge verfügten über einen 5,7-Liter-Vierzylinder mit 80 PS, sechs weitere hatten 7,3 Liter Hubraum und 100 PS. Der Konkurrent aus Untertürkheim trat mit acht Wagen an, deren Vierzylindermotoren aus 4,5 Liter Hubraum immerhin 65 PS mobilisierten.
Wenig sportlicher Erfolg
Wie schon im Vorjahr endete die Prinz-Heinrich-Fahrt auch 1910 weder für Benz noch für Mercedes mit dem erhofften und aufs Kleinste geplanten Sieg. Der bestplatzierte Benz, ein von Fritz Erle gesteuerter 5,7-Liter-Wagen mit 80 PS, landete hinter drei Austro-Daimler und einem Opel immerhin auf Platz 5. Der bestplatzierte Mercedes, gesteuert von Théodore Pilette, erzielte den siebten Platz. Sieger am Steuer des Austro-Daimler: Ferdinand Porsche. 1910 fand die letzte sportliche gefahrene Prinz-Heinrich-Fahrt durch Europa statt, denn ab 1911 wurde der Fahrevent zu einer reinen Touristenveranstaltung, wozu Benz die Fahrzeuge in den Nachfolgejahren an sportlich ambitionierte Fahrer veräußerte. Auf Platz elf landete beim 1910er-Finalevent der hier gefahrene Benz Tourenwagen aus Mannheimer Fertigung; seinerzeit bewegt von Carl Neumaier und der Startnummer 38. Für den Antrieb sorgt ein 58 kW / 80 PS starker Vierzylinder, mit seinen üppigen 5,7 Litern Hubraum allemal gut für Dauertempo 120. Seinerzeit immerhin das erste Triebwerk seiner Klasse als Vierventiler.
Wir fahren den Benz Prinz Heinrich Tourenwagen
An diesem Morgen im August reicht es etwas langsamer und die Eingewöhnung ist etwas überraschend kein großes Problem. Viergang-Außenschaltung, Gas in der Mitte, Kupplung links und die Bremse, weitgehend ohne Funktion im Fahrbetrieb, ganz rechts. Am einfachsten bremst es sich mit der Handbremse außen, die direkt auf die Hinterräder geht und gerade die erspart einem mit Schuhgröße 44,5, dass man mit einem Pedalstoß Gas und Bremse zeitgleich drückt. Der Abstand zwischen den senkrecht stehenden Pedalplatten ist allenfalls wenige Zentimeter. Die winzige Fußbremse wirkt nur auf die Getriebewelle ein, die den Tourer mit dem historischen Kennzeichen IVB-4052 kaum spürbar verzögert. Gelenkt wird am Holzsteuer mit direkter Anbindung, was einem die dünnen frühzeitlichen Reifen erleichtern. Die Sonne presst sich durch erste Lücken im kalifornischen Sommerhimmel – es geht los.
Pures LeBENZgefühl
Erster Gang locker hochgedreht, bevor es mit lockerer Hand, etwas Gefühl und Zwischengas in die zweite Schaltstufe geht. Der Fahrtwind erstarkt mit höherem Tempo und lässt einen die Augen durch den feuchten Fahrtwind zukneifen. Der Vierzylinder schnappert mit zunehmender Drehzahl munter vor sich hin und beschleunigt flotter als erwartet. Es ist die Ergonomie, die bereits auf der kurzen Strecke ihren Tribut fordert, denn dieser Langstreckentourer ist kaum für einen 1,90-Meter-Fahrer kreiert worden und so verlangen Kuppeln sowie Lenken Geschick und ein gutes Stück Demut mit Gedenken an die damalige Zeit. Im Fahrbetrieb zeigt sich das vor einigen Jahren aufwendig restaurierte Historienmodell überraschend zahm und alles andere als anspruchsvoll zu fahren. Zumindest hier auf der Küstenstraße des 17-Mile-Drive – erst ab dem späten Vormittag ein beliebter Publikumsmagnet – lässt sich alles in den Gängen zwei und drei erledigen. Der seinerzeit ebenso innovative wie langstreckenerprobte Vierzylinder ist kraftvoll und allemal flott zu bewegen. Trotzdem waren die mehr als 1.900 Kilometer Dauerlauf eine technische Herausforderung, die kurze danach noch getoppt wurde.
Höchstleistung von Mensch und Maschine
Gerade einmal drei Wochen nach der Prinz-Heinrich-Fahrt ging die vierrädrige Zigarre auf die nächste Fahrt. In zehn Tagen ging es bei der Kaiser-Nikolaus-Touristenfahrt von Sankt Petersburg über Kiew nach Moskau und wieder zurück. Unter den ersten zehn Autos auf der mehr als 2.800 Kilometer langen Strecke: drei Benz mit 80 PS. Wer weiß, wann es eine solche Langstreckenfahrt zwischen Russland und der Ukraine wieder geben wird.
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