Mercedes-Benz Baureihen: Auch bei "Motor hinten" die Nase vorn - der W23 (1934 - 1936)

"Sie können auch anders": Premiere des Heckmotorantriebs bei Daimler-Benz

Mercedes-Benz Baureihen: Auch bei "Motor hinten" die Nase vorn - der W23 (1934 - 1936): "Sie können auch anders": Premiere des Heckmotorantriebs  bei Daimler-Benz
Erstellt am 15. Februar 2010

Der Mercedes-Benz 130 (W 23) wurde im März 1934 auf der IAMA in Berlin vorgestellt. Zu diesem Zeitpunkt war er nicht nur der kleinste Serien-Pkw, der erste Heckmotorwagen und das erste Vierzylindermodell der Daimler-Benz AG, sondern auch der erste in Großserie hergestellte deutsche Heckmotorwagen, sieht man einmal von diversen Kleinstwagen ab.

Der Typ 130 folgte einem vollkommen neuen Entwurf. Zitat Originalprospekt: „Die Konstruktion des Mercedes-Benz Typ 130 ist zweifellos eine der interessantesten Aufgaben gewesen, die jemals im Automobilbau zu lösen war, galt es doch, einen Wagen zu schaffen, der die Fahreigenschaften eines größeren Schwingachsers, den Raumkomfort eines modernen Mittelwagens und die Betriebskosten eines Kleinwagens besitzen sollte.“ Als Argumente für das Heckmotorkonzept wurde angeführt: „Der Motor wurde zwecks besserer Raumgestaltung, Konzentration der gesamten Kraftzentrale, Verminderung des Gewichts und des technischen Aufwands an das Heck verlegt.“ Das biete drei Vorteile: „Erstens bildet der Motor mit dem Getriebe, dem Differential und der Hinterachse ein geschlossenes und leicht zugängliches Aggregat. Zweitens wurde durch die Verlegung des Motors nach hinten bedeutend an Raum für die Insassen gewonnen. Drittens konnte der Platz für alle vier Passagiere zwischen die beiden Achsen verlegt werden, wodurch das Fahren beträchtlich an Annehmlichkeit gewinnt.“ Nur luftgekühlt war nicht.

Ein neues Mercedes-Gesicht

Wer sich auf der IAMA dem Daimler-Benz Stand näherte und auf die Begrüßung durch die gewohnten Kühlergesichter der Mercedes-Benz Personenwagen vorbereitet war, erlebte eine Überraschung. Dem Besucher blinzelte ein ungewohntes Gesicht entgegen - der neue Charakterkopf sollte den Beginn einer neuen Epoche im Fahrzeugbau signalisieren. Lediglich der Mercedes-Stern zeigte dem Besucher, dass er am richtigen Stand angekommen war. Der neue kleinere Mercedes-Benz sorgte in seiner Fahrzeugklasse mit dem bis dahin noch nicht sehr verbreiteten Heckmotor, ein Vierzylinderaggregat, und mit neuen Proportionen für Aufsehen und Nachdenken. Stämmig und unumwerfbar wirkte er im direkten Vergleich mit seinen schmalspurigen und hochbeinigen Klassengenossen, sehr selbstbewusst stand er auf vier einzeln gefederten Rädern.

Der neue Typ überrascht emit einem erstaunlich geräumigen Innenraum, nicht viel kleiner als beim Mercedes-Benz 170 mit Sechszylindermotor, dem bis dahin kleinsten Fahrzeug von Daimler-Benz. Die recht große und ungeteilte Windschutzscheibe ließ einen ungehinderten Blick nach draußen zu. Die beiden großen Seitentüren ermöglichten in Verbindung mit den abklappbaren Vordersitzlehnen einen recht guten Zugang zur höher angebrachten Fondsitzbank, hinter deren Lehne noch Raum für einen größeren Koffer war. Unter der vorderen Haube war genügend Platz für das waagerecht liegende Reserverad sowie Werkzeug und kleinere Reiseutensilien. Eine große Ausnahmeerscheinung der damaligen Zeit und von der Damenwelt sehr war die serienmäßige Warmluftheizung.

Bei dem 1,3-Liter-Vierzylindermotor handelte es sich um eine Neukonstruktion mit stehenden Ventilen und Steigstromvergaser. Das Aggregat leistete 26 PS bei 3.400 U/min und ermöglichte eine Höchstgeschwindigkeit von 92 km/h. Damit war der neue Mercedes sogar geringfügig schneller als der Typ 170. Zupass kam ihm dabei seine für die damalige Zeit günstige Form. Mit einem Luftwiderstandsbeiwert von cW=0,516 lag er auf dem Niveau eines Mercedes-Benz 230 SL von 1963 mit Hardtop, welcher auf einen Wert von cW=0,515 kommt, und deutlich unter dem in der Vorkriegszeit weit verbreiteten Mercedes-Benz Typ Stuttgart mit cW=0,662.

Der Kraftstofftank mit 30 Liter Volumen befand sich rechts neben dem Motor. Das zur besseren Achslastverteilung vor der Hinterachse platzierte Dreigang-Getriebe besaß als vierte Fahrstufe einen Schnellgang, der dem Trend der damaligen Zeit entsprechend eine Overdrive-Funktion erfüllte. Dieser Schnellgang wurde ohne das Treten des Kupplungspedals vorgewählt und durch das Loslassen des Gaspedals geschaltet. Beim anschließenden erneuten Gasgeben rastete der Gang automatisch ein. Hydraulische Vierradbremsen, auch noch nicht Standard dieser Fahrzugklasse in jenen Jahren, sorgten für eine sichere Verzögerung.Der Motor bot beachtliche Hubraum-Reserven und erlebt in den 1950er Jahren als 1,8-Liter-Motor in den Typen 180 und 170 S-V seinen Höhe- und zugleich Endpunkt.





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Neues Konzept - neues Design

Der Typ 130 war als als zweitürige Limousine und als zweitürige Cabrio-Limousine lieferbar. Für Behörden-Sonderzwecke werden auch Versionen als offener Tourenwagen und Kübelwagen angeboten. Zudem gab es Pläne, auch das blanke Fahrgestell für Sonderkarosserien anzubieten, doch für die Umsetzung fehlen entsprechende Nachweise. Das komplett aus einem Stück gepresste Dach der Limousine war für damalige Verhältnisse nicht alltäglich. Die meisten Autodächer jener Zeit bestanden in ihrer großen Mittelfläche aus einer tragenden Holzkonstruktion, die von einem Stoffbezug abgedeckt war. Für das neue große Pressteile schafft das Unternehmen für das Werk Sindelfingen eigens eine hydraulische Presse mit entsprechenden Gesenken an. Bei der Cabrio-Limousine öffnete sich das Stoff-Faltverdeck über Dach und die hintere Partie - die Fahrzeug-Seitenwände bleiben feststehend. Noch vor dem offiziellen Erscheinungstermin hatte man bei Mercedes-Bnez die Entscheidug getroffen, den Typ 130 nicht als Einzelerscheinung ins Rollen kommen zu lassen, sondern zu einer Modellfamilie von Heckmotorfahrzeugen auszubauen. Zu diesmem Zeitpunkt wurde bereits über ein Modell mit 1,6-Liter-Motor und vier Türen sowie einen Sportwagen nachgedacht.

Das Äußere des neuen Automobils erforderte ein völliges Umdenken bei der eher konservativ geprägten Mercedes-Benz Kundschaft. Denn der Heckmotorwagen benötigte keinen klassischen, vorn angesiedelten Kühler. Obwohl es entsprechende Überlegungen gab, erlag man bei Daimler-Benz nicht der Versuchung, dem Fahrzeug durch einen Pseudokühler das Aussehen eines traditionell geprägten Frontmotorfahrzeugs zu verleihen. Zwar gab es entsprechende Versuche und Vorschläge aus dem Hause, doch am Ende entschied man sich sich für eine klare Gestaltung als Heckmotorfahrzeug. Dazu gehört auch ein Mercedes-Stern mit Umrandung, der auf der Fronthaube in die über die Haube laufende Wulst eingebettet war. Ein markanter Teil der neuen Fahrzeugoptik waren die Lufteinlassgitter in den Seitenflächen unter den hinteren Seitenfenstern für den über der Hinterachse platzierten Wasserkühler. Die geschwungene Motorhaube prägten drei längs über die Haube verlaufende Entlüftungsschlitze, die aufgrund der darüber angebrachten Abdeckbleche dem Fahrzeug eine markante und unverwechselbare Heckansicht verliehen. Somit präsentierte sich der Typ 130 mit vollkommen eigenständigem Design, das ihn in der damaligen Zeit durchaus avantgardistisch wirken ließ.

Der Typ 130 war, im Gegensatz zu später oft geäußerten Meinungen, durchaus erfolgreich. Verzeichnet die Statistik im Jahr der Serienvorbereitung 1933 noch exakt ein Exemplar der zweitürigen Limousine vom Typ 130, entstehen 1934 bereits 2205 Stück, die zu einem Preis von jeweils 3425 RM angeboten werden. 1935 werden 1781 Stück (3680 RM) gefertigt, im Jahr 1936 noch 311 Stück (3200 RM). Der Absatz des Heckmotorautos darf umso mehr beeindrucken, da es ja in der Gesamtheit seines Entwurfs ein sehr avantgardistisches Konzept verkörpert, bei dem manch angestammter Mercedes-Benz Kunde Berührungsängste gezeigt hat.

Erst Kritik - dann Lob!

Für den Typ 130 wurde ein neuer Zentralrohr-Rahmen hinterer Gabelung für die Motoraufnahme entwickel. Für einen tiefen Schwerpunkt waren die Querträger zur Aufnahme der Karosserie unterhalb des Zentralrohres angebracht. Die Sitzplätze wurden in der am besten gefederten Zone des Wagens zwischen den Achsen angesiedelt. Die Vorderachskonstruktion besass wie beim Typ 170 Einzelradaufhängung, zwei übereinander liegende Blattfederpakete, die am vorderen Chassisquerträger befestigt sind, und Hebelstoßdämpfer. Die Zweigelenk-Hinterachse war mit zwei Spiralfedern bestückt. Intern sorgte das sich anfangs recht störrische Fahrverhalten des Typ 130 für Diskussionen. So äußerte sich im November 1933 der Untertürkheimer Betriebsdirektor Hans H. Keil in einer technischen Sitzung sehr besorgt. Ein Sitzungsprotokoll hielt fest:: „Herr Keil brachte zum Ausdruck, dass er und Herr Uhlenhaut die schlechte Strassenlage des Hecktriebwagens festgestellt habe und dass er über den Fahrzeugtyp äusserste Besorgnis hege.“ Aufwändige Versuche führen aber bald zu einer spürbaren Verbesserung des Fahrverhaltens.

Die damalige Fachpresse begegnete dem neuen Auto zunächst mit Skepsis, lobte dann aber den Reifegrad des Konzepts. Der Journalist Joseph Ganz, der die Möglichkeit hatte, einen Vorserienwagen noch vor der offiziellen Vorstellung zu fahren, urteilte:

„Ich hatte Gelegenheit, den Wagen jüngst einer ausgedehnten Probefahrt zu unterziehen. MB 130 ist eigentlich kein Heckmotorwagen in Reinkultur. Er ist mehr ein ‚Aussenbordmotor’-Wagen. Der Motor ist nach hinten weit übergebaut, was unerwünschte Schwanzlastigkeit verursacht. Dies hat vorn Stoßdämpfer erforderlich gemacht, und das bedeutet sozusagen das Fehlen des Tüpfelchens auf dem i der Fahreigenschaften, wie man sie von kompromissfreien Heckmotorwagen gewöhnt ist. Daraus ergeben sich Mängel, die den feinfühligen Fahrer, den Kenner, stören. Hat man das dadurch hervorgerufene unbehagliche Gefühl, als ob der Wagen etwas schwimme und in den Kurven hinten herum zu kommen strebe, überwunden, und stellt man dann Vergleiche zu einem x-bliebigem anderen Fahrzeug mit vorn liegendem Motor an, so fallen sie weitaus zu Gunsten des MB 130 aus. Die Federung ist einzigartig. Stöße fehlen vollständig. Übrig geblieben ist nur ein sanftes Wiegen, wodurch die Reise zu einem Genuss werden muss. Und die Lenkbarkeit ist beinahe vollendet. Der Wagen reagiert auf jedes Streicheln des Lenkrads. Es ist ein ausgesprochen kultiviertes Fahren. Bremsen sanft und sehr wirksam. Gute Straßenübersicht, tadelfreie Lüftung. Kein Gasgeruch im Wagen.

Modellpflege

1935 erhielt der neue kleine Mercedes-Benz Verbesserungen an Karosserie und Innenausstattung. Beispiel Armaturenbrett: Zwei große Rundinstrumente mit elfenbeinfarbenen Zifferblättern waren nun direkt vor dem Fahrer platziert, auf der Beifahrerseite befand sich ein größerer Handschuhkasten mit Deckel und eingebauter Uhr. Die Vordersitze erhielten eine verbesserte Polsterung und waren komfortabel verstellbar – die vorherige archaische Lösung durch das Lösen von Schrauben gehörte der Vergangenheit an. Im Vorbau waren unterhalb der A-Säule je eine Lüftungsklappe für den Fußraum eingebaut, von außen erkennbar an je zwei Schlitzen rechts und links oberhalb der vorderen Kotflügel. Um die Fahreigenschaften zu verbessern, wurde die Abstimmung von Federn und Stoßdämpfern und der Sturz der Vorderräder geändert. In der Diskussion war seinerzeit auch eine indirektere Lenkung, aber es ist unklar, ob sie zum Einsatz gekommen ist.

Schon vor Beginn des neuen Modelljahrs hatte man den Typ 130 mit Vigot-Wagenheber ausgerüstet. Zudem ist die vordere Haube modifiziert worden, die ja bei diesem Heckmotorauto den dort befindlichen Kofferraum verschließt: Sie umfasste nun nicht mehr die stehenden Seitenteile, sondern lag auf. Die Fahrzeuge des Jahres 1935 waren bis auf die komplett schwarzen Varianten weitgehend zweifarbig lackiert, wobei die Kotflügel auf Wunsch in Schwarz oder in der zweiten Wagenfarbe erhältlich waren.

16 Bilder Fotostrecke | Mercedes Baureihen: Auch bei "Motor hinten" die Nase vorn - der W23 (1934 - 1936): "Sie können auch anders": Premiere des Heckmotorantriebs bei Daimler-Benz #01 #02 Im Oktober 1935 wurde beim Typ 130 noch eine technische Änderung wirksam, welche die Betätigung des Kraftstoffhahns vom Fahrersitz aus gestattete. Gleichzeitig reduzierte sich der Preis des sogenannten „Herbstmodells 1935“, das dieses Merkmal noch nicht hat, um 580 RM respektive 600 RM. Eine nur zwei Monate später durchgeführte Preissenkung des „Wintermodells 1935“ bereitete allerdings schon die Markteinführung des Nachfolgers vor. Im Februar 1936 löste der leistungsstärkere und in vielen Punkten neu konstruierte Typ 170 H den 1,3-Liter-Wagen ab. Als Auslaufmodell war der Typ 130 noch bis Februar 1937 in der Preisliste zu finden.

An den Typ 130 ist übrigens noch eine weitere Neuerung geknüpft: Mit ihm begann die Auslandsfertigung der Daimler-Benz AG. 1935 wurden in Dänemark die ersten Heckmotorwagen montiert, um auf die dort stark gestiegene Nachfrage zu reagieren. Die Fahrzeugteile stammten komplett aus deutscher Fertigung.

Mercedes-Benz 130 (Baureihe W 23)Zylinder: 4 (Reihe)

Hubraum: 1308 cm³

Leistung: 19 kW bei 3400/min

Höchstgeschwindigkeit: 92 km/h

2 Kommentare

  • HerrLehmann

    HerrLehmann

    Aber ein echtes Randgruppenthema. Andererseits, ich dachte immer der Käfer wäre der erste Heckmotorwagen gewesen?
  • SebastianNast

    SebastianNast

    Schöner Artikel, schöne Bilder zum W23/W28, der ja sozusagen der Urahn der A-Klasse ist ... Mit besten Sterngrüßen Sebastian

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