Technik: WLTP-Auswirkungen in Europa

Wer blickt da noch durch?

Technik: WLTP-Auswirkungen in Europa: Wer blickt da noch durch?
Erstellt am 5. Mai 2021

Seit mehr als zweieinhalb Jahren ist der neue WLTP-Verbrauchszyklus nunmehr eingeführt und noch immer sorgt er für Gesprächsstoff. Dabei wirken sich die Regelungen höchst unterschiedlich auf die KFZ-Steuern aus.

Die großen Probleme bei der Einführung des WLTP-Zyklus (World Light Vehicle Test Procedure) sind beinahe vergessen – zumindest bei den Kunden. Bei den Autoherstellern klingelt es bei den vier Buchstaben WLTP nach wie vor in den Ohren. Monatelang konnten viele Automodelle nicht ausgeliefert werden, einige Motorvarianten wurden werden den neuen, deutlich strengeren Verbrauchsvorgaben gestrichen und die Umstellung von NEFZ (Neuer Europäischer Fahr Zyklus) zu WLTP kostete die Branche Milliarden Euro und Dollar. Seither werden in einigen europäischen Ländern die Kfz-Steuern nach den jeweiligen Emissionswerten erhoben. Doch die Kostenspirale ist nach wie vor nicht durchbrochen; der WLTP-Zyklus ist für die Autohersteller und somit auch für die Kunden nach wie vor ein teures Unterfangen. Die Analysten von Jato Dynamics haben die derzeit geltende Fahrzeugbesteuerung verschiedener Länder untersucht und die verschiedenen Richtlinien und möglichen Auswirkungen für Hersteller, Händler oder Leasing-Gesellschaften analysiert.

Der seit Herbst 2018 eingeführte Verbrauchszyklus dauert mit 30 Minuten 50 Prozent länger als zuvor und die Standzeit reduzierte sich von knapp 24 auf 13 Prozent. Im Gegenzug verlängerte sich die gefahrene Strecke von 11 auf 23 Kilometer und das Maximaltempo erhöhte sich von 120 auf 131 km/h, um Autobahnfahrten besser abbilden zu können, was sich auch in einer höheren Durchschnittsgeschwindigkeit (46 statt bisher 34 km/h) bemerkbar macht. Ergänzend dazu sind die Prüfvorgaben nunmehr strenger als bisher und es wird nicht wie bisher nur die Basisvariante des jeweiligen Modells getestet, da Sonderausstattungen Einfluss auf die Messwerte haben. Jedoch konnten sich die Organisationen zum Beispiel nicht darauf einigen, wie eine eingeschaltete Klimaanlage Einfluss in die Messung nehmen soll. So bleibt einer der größten Verbraucher neben Sitz-, Lenkrad- und Scheibenheizungen bis auf Weiteres bei den Messungen außen vor.

Jedes in Europa verkaufte Neufahrzeug hat seit dem Herbst 2018 seinen eigenen WLTP-Wert. Jede Änderung an der Basisvariante des Modells durch entsprechende Sonderausstattungen kann sich direkt auf den CO2-Ausstoß auswirken. So erhöht sich der Emissionswert etwa durch eine Anhängerkupplung oder ein Panoramadach um rund zwei g/km CO2. Deshalb muss jede Änderung an der Fahrzeugspezifikation separat berechnet werden. Hinzu kommt, dass WLTP die nationalen Besteuerungen in Europa beeinflussen kann – unter anderem bei den Umsatz-, Besitz- oder Firmenwagensteuern. Da jedes Land seine ganz eigenen Steuerregelungen hat, müssen die Hersteller und Leasingfirmen permanent auf die nationalen Änderungen achten, die sich für ihre Modelle und Flotten ergeben können.

Der CO2-Ausstoß eines durchschnittlichen Benzinerfahrzeugs (120 g/km CO2, verbrauch: 5,3 Liter / 100 km, 1.400 kg Gesamtgewicht, Preis: 20.000 Euro) erhöht sich durch das Nachrüsten von größeren Felgen und einem Panoramaschiebedach für 1.000 Euro um fünf g/km, der Kraftstoffverbrauch steigt auf 5,5 l/100 km und das Gewicht auf 1.450 kg. Was das für die Besteuerung nach dem WLTP-Zyklus bedeutet, zeigt ein Vergleich von vier Ländern:

Deutschland:

In Deutschland würde sich der Neupreis des Fahrzeugs nur um den Preis der Extras, jedoch ohne zusätzliche Besteuerung der Option, erhöhen. Die Kfz-Steuer fiele um 11 Euro höher aus. Diese Berechnung gilt für ein Fahrzeug mit 1,5 Liter-Ottomotor.

Frankreich:

In Frankreich wäre für das Fahrzeug keine höhere Steuer fällig, da der CO2-Ausstoß unter 133 g/km liegt. Darüber würde jedoch jedes zusätzliche Gramm CO2 die Steuer erhöhen. Stößt ein Fahrzeug 133 g/km aus, beträgt die Steuer 50 Euro, für jedes zusätzliche Gramm kommen dann jeweils 25 Euro dazu.

Irland:

In Irland erhöht sich die Steuer für das Fahrzeug aufgrund der Optionen um 107 Euro. Durch die zusätzlichen Optionen im Wert von 1.000 Euro beträgt der Gesamtpreis also 21.107 Euro. Besonderheit: Die Besteuerung nimmt in Irland mit höheren CO2-Emissionen stärker zu. Eine Erhöhung von 170 auf 171 g/km beim gleichen Fahrzeug bedeuten gleich 126 Euro mehr Steuern – nur für dieses eine Gramm.

Niederlande:

In den Niederlanden fallen für das Fahrzeug ohne die genannten Optionen stattliche 3.146 Euro Steuer an. Mit den Extras würden weitere 660 Euro fällig. Macht zusammen 3.806 Euro. Ähnlich wie in Irland steigt die Kfz-Steuer mit höheren Emissionswerten – jedes Gramm über 172 g/km kostet 432 Euro. Noch härter trifft es Diesel-Besitzer: Für ein Fahrzeug, das mehr als 77 g/km CO2 ausstößt, kommen noch einmal 83,59 Euro pro Gramm zum CO2-Satz eines Benziners hinzu. Das bedeutet, dass für Dieselmodelle 515,59 Euro für jedes zusätzliche Gramm CO2 oberhalb von 172 g/km gezahlt werden müssen.

In Anbetracht der nahezu unendlich vielen Möglichkeiten ein Fahrzeug zu verändern und das bei 15 Millionen Neuwagen, die jedes Jahr in Europa verkauft werden, wird das Problem schnell deutlich: Die Berechnung des individuellen WLTP-Werts für jedes Fahrzeug erfordert Zeit und Präzision. Für Leasingfirmen ist jedoch entscheidend, über genaue WLTP-Werte zu verfügen, die den Anforderungen ihrer Kunden und deren Fuhrparkrichtlinien entsprechen, damit sie weiterhin im Geschäft bleiben. Und die Hersteller können ohne genaue WLTP-Angaben die jeweiligen Fahrzeugpreise nicht vergleichen. Die brauchen sie aber, damit ihre Fahrzeuge in jedem Markt wettbewerbsfähig sind. Ohne genaue Angaben riskieren sie, dass sich ihre Modelle nicht verkaufen und für ihre Kunden zu teuer werden.

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