Die Heckflosse lernt wieder fliegen

Premiere der von Mercedes-Benz Classic aufgebauten Sechszylinder-Limousine

Die Heckflosse lernt wieder fliegen: Premiere der von Mercedes-Benz Classic aufgebauten Sechszylinder-Limousine
Erstellt am 25. Oktober 2011

Über fünfzig Jahre sind nun fast vergangen seit eine Heckflosse, nämlich ein 220 SE mit Walter Schock, Tourenwagen-Europameister wurde. Fast fünfzig Jahre ist es her, seit Eugen Böhringer auf dem gleichen Fahrzeug Rallye-Europameister wurde. Eine Zeit, als Seriennähe das A und O des FIA Reglements war. Und genau so ein Fahrzeug stand am vergangenen Wochenende in der Box 12 des Fahrerlagers am Nürburgring und wartete auf seinen Premieren-Einsatz beim Dunlop FHR Langstrecken-Cup.

Bei Mercedes-Benz Classic wurde Ende des vergangenen Jahres die Idee geboren, eines der seinerzeit erfolgreichsten Touren- und Rallye-Fahrzeuge analog den damaligen FIA Regeln wieder aufzubauen und wieder an Wettbewerben teilnehmen zu lassen. Aber vom ersten Gedanken bis zum grünen Licht für die Arbeiten dauerte es immerhin bis April diesen Jahres.

Der 220 SE stammt aus dem Mercedes-Benz Museum

Glücklicherweise war im Museum ein 220 SE Serienfahrzeug als Basis verfügbar, was die Realisierung des Projekts erleichterte. Von der FIA erlaubte Modifikationen wie die Vergrößerung des Tanks, die Versteifung von Fahrwerks- und Karosserieteilen und die Anpassung der Motorcharakteristik an den jeweiligen Einsatzzweck wurden selbstverständlich wie damals in das Fahrzeug eingebaut. So leistet die Maschine der "Wiedergeburt", so Projektleiter Mathias Knebel, statt serienmäßigen 120 jetzt 138 PS.

Das Fahrzeug hat 6.00 x 15 Dunlop Rennreifen mit modernem Aufbau, jedoch zeitgenössischem Profil. Erforderlich war die Umrüstung auf heutige Sicherheitsstandards. Das fängt an beim modernen Fahrersitz, weiter wurde umgestellt auf einen 100 Liter großen FT3-Sicherheitstank und der Wagen erhielt einen Sicherheitskäfig sowie ein Feuerlöschsystem.

Die Heckflosse lernte bei Eugen Böhringer das Fliegen

In diesem Zusammenhang erinnert sich der mit der Sicherheitsentwicklung bei Mercedes-Benz Vertraute, dass die Heckflosse als erstes Modell mit einer stabilen Sicherheitsfahrgastzelle und einer wirksamen Knautschzone ausgerüstet war. Umfangreiche Crash-Versuche waren dieser für die damalige Zeit wegweisenden Entwicklung vorausgegangen. So wurde u. a. ein Fahrzeug mit 80 km/h über eine Rampe zum Überschlagen gebracht. Nicht nur die Knautschzone wurde hier erstmals verwirklicht, hinzu kamen Details wie das gepolsterte Armaturenbrett und das Lenkrad mit elastischer Prallplatte in der Nabe wie sie auch die Rennflosse in Box 12 hat. Davor unverändert der für das Fahrzeug charakteristische vertikale Bandtacho.

Fahrzeuggeschichte, und deshalb Box 12, sind natürlich zumindest ebenso die denkwürdigen, sportlichen Erfolge der Flosse W111 Wer denkt da zurückblickend auf die Motorsport-Historie von Mercedes-Benz nach dem Rückzug aus dem Rennsport im Jahr 1955 nicht an die Straßenerfolge von Walter Schock, auf einem 220 SE Tourenwagen-Europameister 1960, im gleichen Jahr auf diesem Wagen erster deutscher Gesamtsieger der Rallye Monte Carlo vor zwei weiteren 220 SE. Und Eugen Böhringer mit seinen legendären Heckflossen, der Mann, bei dem die Flosse fliegen lernte… - 1962 wurde er auf einem 220 SE Rallye-Europameister.

Beim FHR Cup sitzen der Brite Andrew Frankel und Klaus Ludwig hinter dem Steuer. Andrew Frankel ist Redakteur des bekannten britischen Motor Sport Magazine. Obwohl er dort hauptsächlich mit Testberichten neuer Fahrzeuge befasst ist, antwortet er auf unsere Frage, wie er seine Rolle als Nachfolger der legendären Europameister sehe: "Durch drei Dinge fühle ich mich geehrt: Dass ich für Mercedes-Benz fahre, dass ich beim Goodwood Festival of Speed den Silberpfeil W25 fahren durfte und dass ich heute das Erbe von Walter Schock und Eugen Böhringer antreten darf." Übrigens wurde Rudolf Caracciola 1935 auf einem W25 Europameister. Zu Klaus Ludwigs Rennfahrerlaufbahn braucht man wohl kaum etwas zu sagen, zu sehr sind seine Erfolge auch heute noch in Erinnerung.

"Für uns ist heute wichtig, dass das Auto im Rennen durchhält."

Auf Grund und Ziel des Premierentages im Renngeschehen angesprochen antwortet Uwe Fischer, Pressesprecher der Mercedes-Benz Museum GmbH: "Die Fahrergemeinschaft Historischer Rennsport (FHR) leistet einen wesentlichen Beitrag zur Popularität historischer Motorsportwettbewerbe. Als Ausdruck seines Engagements im historischen Motorsport unterstützt Mercedes-Benz die FHR Serie. Das ist auch der Grund, warum wir heute erstmalig in dieser Serie mit einem so geschichtsträchtigen Auto wie dem W111 dabei sind."

Weiter geht´s realistisch: "Mit 138 PS unter der Haube kann man, und das wissen wir alle, bei einem FHR Rennen kaum vorn mit halten, mag das Auto auch früher noch so erfolgreich gewesen sein. Bei einem Rennen wie dem heutigen, in dem es außer Hubraumklassen keine weiteren Unterteilungen gibt, müssen wir uns darüber klar sein, dass wir der Spitze, die im Prinzip von unserem "Nachbarn" aus Zuffenhausen beherrscht wird, klar unterlegen sind. Für uns ist heute wichtig, dass das Auto im Rennen durchhält. So möchten wir den Grundstein dafür legen, auch im nächsten Jahr, also 50 Jahre nach der Europameisterschaft Eugen Böhringers, in vier bis sechs Rennen die Erinnerung hieran und an Mercedes-Benz als ein Haus der Tradition wach zu halten. Wir hoffen, dass uns dabei neben Klaus Ludwig weitere aus früheren Jahren bekannte Piloten unterstützen werden."

Zusammen mit Andrew Franken hat Klaus Ludwig auf jeden Fall den Weg hierfür frei gemacht. Groß waren Freude und Stolz auf die gemeinsame Leistung im gesamten Fahrer- und Betreuungsteam, als die Flosse, wie einst in ihrer klassischen hellgrauen Lackierung DB 140 - wenn auch nicht als Sieger - über die Ziellinie fuhr.



Text: Friedrich W. Thüner

Fotos: Friedrich W. Thüner, Archiv

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