Mercedes-Benz Motorsport-Story: Teil 2

Die Daimler-Motoren-Gesellschaft und der Rennsport

Mercedes-Benz Motorsport-Story: Teil 2 : Die Daimler-Motoren-Gesellschaft und der Rennsport
Erstellt am 22. März 2010

Mercedes-Benz ist nicht nur der Erfinder des Automobils, sondern in seinen beiden Wurzeln Daimler und Benz aktiver Geschichte machender Motorsportaktiviste. Als die vier Räder begannen, das Rennen zu machen, war Daimler als Motorenlieferant und mit eigenen Fahrzeugen von Beginn an vorne mit dabei. Als Meilensteine der ersten Mercedes-Motorsport-Phase gelten der Vierfachsieg mit Daimler-Motoren beim ersten Automobilwettbewerb der Welt 1894, die epochalen Grand-Prix-Siege 1908 und 1914 sowie der Beginn der Kompressor Ära 1922.

Acht Jahre ist das Automobil mit Verbrennungsmotor erst alt, als es sich einem ersten öffentlichen Wettbewerb stellen muss. Siegreich sind bei dieser 1894 in Frankreich ausgetragenen Veranstaltung vier Fahrzeuge mit Motoren, die nach dem System Daimler gebaut sind. Dieses erste Kräftemessen für Autos mit offiziellem Charakter ist von der Pariser Zeitung „Le Petit Journal“ ausgeschrieben worden und führt von Paris 126 Kilometer weit nach Rouen. Die Auslese ist hart: 102 Fahrzeuge bewerben sich um einen Startplatz, nur 21 werden schließlich zugelassen, und 15 Wagen erreichen dann das Ziel. Von diesen tragen neun Fahrzeuge einen in Lizenz gebauten Daimler-Motor, so auch die vier erstplatzierten Wagen. Deren 2,6-kW-Maschinen ermöglichen eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 20,5 km/h. Auch in den folgenden Jahren erringen unterschiedliche, jeweils mit Daimler-Motoren angetriebene Fahrzeuge zahlreiche Siege und untermauern den guten Ruf der Spitzen-Technik aus Deutschland. Bereits früh erkennen die Unternehmen die publikumsträchtige Wirkung solcher rennsportlichen Erfolge und beginnen, sie für den Verkauf ihrer Fahrzeuge zu nutzen.

Eine scharfe Trennung zwischen dem Auto als Alltagsfahrzeug und als Sportgerät ist zu dieser Zeit nicht möglich. Denn von seinen Erfindern ist der Kraftwagen zunächst vor allem als pragmatisches Fortbewegungsmittel gedacht. Doch schon bald entsteht die Idee, mit diesen motorisierten Gefährten auch in öffentlichen Veranstaltungen gegeneinander anzutreten. Verbesserungen der Wettbewerbsautos gehen direkt in die Serie ein – wenn man angesichts der geringen Bauzahlen im Manufakturverfahren schon von Serie sprechen kann. Der erste Wettbewerb 1894 ist deshalb nicht nur der Beginn des Motorsports im modernen Sinne, sondern auch der Anfang von rasanten Fortschritten im Automobilbau. Im folgenden Jahr zeigt sich ein ähnliches Bild bei der Wettfahrt Paris – Bordeaux – Paris über 1192 Kilometer, die als erstes reines Autorennen gilt: Unter den ersten acht Automobilen im Ziel sind sechs nach Daimler-Lizenz ausgerüstete Wagen, außerdem zwei Benz-Fahrzeuge. 1896 holen dann Wagen mit Daimler-Motoren auf der Strecke Paris – Marseille – Paris über 1728 Kilometer einen Dreifachsieg mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25,2 km/h.

1898: Daimler-Wagen fahren eigene Rennerfolge ein

Aber die Daimler-Motoren-Gesellschaft will nicht nur als Motorkonstrukteur glänzen, sondern mit ihren eigenen Produkten Rennen gewinnen. Das gelingt den Stuttgartern beim Rennen Berlin – Leipzig – Berlin (25. bis 27. Mai 1898), als ein Daimler-Wagen mit Friedrich Greiner am Steuer siegt. Es folgen diverse andere Veranstaltungen. Die erste Dolomitenfahrt im August 1898 rund um Bozen gewinnen Wilhelm Bauer und Wilhelm Werner mit ihrem Daimler-Viktoria-Wagen. Das von dem 5,5 kW starken Fahrzeug mit Zweizylindermotor dominierte Rennen gilt als erste kontrollierte Fernfahrt mit Automobilen durch die Alpen – wieder setzt Daimler ein Zeichen in der jungen Geschichte des Motorsports. Wilhelm Bauer siegt im Jahr darauf auch im Wettbewerb der zweisitzigen Wagen bei der Tourenfahrt Nizza – Colomars – Tourettes – Magagnone – Nizza. Den zweiten Platz belegt Arthur de Rothschild. Beide Fahrer pilotieren einen Daimler Typ Phönix mit einer Leistung von 8,8 kW. Den Erfolg für die deutsche Marke macht Wilhelm Werner auf einem Daimler vom Typ 12 PS Phönix-Rennwagen mit dem Sieg in der Klasse der viersitzigen Wagen perfekt.

1900: Die Ära Mercedes beginnt

Im April 1900 wird „Mercedes“ zur Produktbezeichnung, als Jellinek und die DMG eine Vereinbarung über den Vertrieb von Wagen und Motoren treffen und Daimler die Entwicklung eines neuen Motors zusagt, der „Daimler-Mercedes“ heißen soll. Kurz darauf bestellt Jellinek binnen weniger Wochen insgesamt 72 Wagen verschiedener Leistungsstufen bei der DMG – das ist 1900 ein echter Großauftrag. Das erste mit dem neuen Motor ausgerüstete Auto, ein Rennwagen Mercedes 35 PS, wird am 22. Dezember 1900 ausgeliefert. In diesem ersten Mercedes, den wie bereits viele Fahrzeuge davor Wilhelm Maybach, Chefkonstrukteur der DMG, entworfen hat, erlebt die Entwicklung des modernen Autos einen frühen Höhepunkt: Die dynamische Evolution vom kutschenartigen Kraftwagen hin zum Automobil mit eigenständiger Formensprache hat sich ja schon länger angekündigt. Aber Maybach gelingt nun mit diesem Rennwagen ein wegweisendes Konzept. Das Automobil hat einen 5,9 Liter großen, als Frontmotor eingebauten Vierzylinder, dessen Leistung von beachtlichen 26 kW immerhin eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h ermöglicht. Dazu kommen Merkmale wie niedriger Schwerpunkt, Pressstahlrahmen, die leichte Bauweise des Motors und der revolutionäre Bienenwabenkühler.

Auf der Woche von Nizza 1901 sind die Daimler-Rennwagen in fast allen Disziplinen siegreich. Die Erfolge des neuen Wagens beeindrucken Publikum und Fachleute. Paul Meyan, der Generalsekretär des französischen Automobil-Clubs, erkennt die neue Vormacht der deutschen Automobilmarke Mercedes auf den lange Zeit von französischen Fabrikaten dominierten Rennstrecken: „„Wir sind in die Ära Mercedes eingetreten“, schreibt er nach der Woche von Nizza des Jahres 1901.

1903: Gordon-Bennett-Sieg in Irland

Der Mercedes 35 PS Renn- und Tourenwagen wird bereits 1902 durch den Mercedes-Simplex 40 PS Rennwagen abgelöst. Das Fahrzeug trägt seinen Namen zu Recht: Wilhelm Maybach hat das Automobil mit dem 29,4 kW starken Motor konsequent auf mehr Leistung, einfachere Bedienung und größere Zuverlässigkeit ausgelegt. Auf diesem Rennwagen erzielt unter anderem Graf William Eliot Zborowski den zweiten Platz in der Klasse der schweren Wagen bei der Fernfahrt Paris – Wien im Juni 1902. Das Teilstück Paris – Innsbruck gilt zugleich als dritter Wettbewerb in der Reihe der legendären Gordon-Bennett-Rennen.

Diese stellen seinerzeit die wichtigste Wettbewerbsserie im internationalen Automobilrennsport dar. Ende 1899 hat der in Paris lebende amerikanische Verleger und Herausgeber des „New York Herald“, James Gordon Bennett, diese Konkurrenz ins Leben gerufen. Sie wird einmal jährlich als Nationenrennen ausgetragen. Die Wagen müssen mindestens 400, dürfen maximal aber nur 1000 Kilogramm wiegen und müssen bis zur letzten Schraube in dem Land hergestellt sein, für das sie fahren. Die Nation, die den Sieger stellt, darf im Folgejahr das Rennen organisieren und austragen. Von den Gordon-Bennett-Rennen geht Anfang des 20. Jahrhunderts die Tradition der Nationalfarben für Rennwagen aus. Die DMG startet für Deutschland mit weiß lackierten Fahrzeugen. Weitere Farbgebungen, die sich in diesen Jahren etablieren, sind Grün für England, Rot (anfangs schwarz) für Italien, Blau für Frankreich, Schwarz-Gelb für Österreich-Ungarn und Rot-Gelb für die Schweiz.

Weil 1902 der britische Fahrer S. F. Edge auf Napier gewinnt, soll das Rennen 1903 in England stattfinden. Da dort Straßenrennen nicht zugelassen sind, wird der Wettbewerb nach Irland verlegt. Auf eigener Achse fahren die Daimler Ende Juni nach Irland – und zum Sieg: Der Belgier Camille Jenatzy geht auf dem Wagen des amerikanischen Enthusiasten Clarence G. Dinsmore als erster Fahrer durchs Ziel. Mit einem Durchschnittstempo von 79,2 km/h erzielt Jenatzy den ersten international bedeutenden Sieg für die DMG. Als Folge des Daimler-Triumphs wird das nächste Gordon-Bennett-Rennen 1904 in Deutschland ausgetragen. Auf einem Rundkurs bei Homburg im Taunus siegt der französische Fahrer Léon Théry, Camille Jenatzy erringt auf seinem Mercedes 90 PS Rennwagen diesmal nur den zweiten Platz, gefolgt von Baron de Caters auf einem zweiten Mercedes 90 PS. Drei weitere Fahrzeuge dieses Typs starten für das österreichische Daimler-Werk in Wiener Neustadt, zwei davon kommen auf die Plätze 5 und 11.

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1906: Rennwagen mit Sechsyzlinder

Mercedes-Simplex 40 PS von 1902: Gestreckte Mercedes-Silhouette, tief liegendes Chassis, niedrige Motorhaube, Bienenwabenkühler, schräg stehende Lenkung, gleich große Räder.



Für die Rennsaison 1906 entwickelt die DMG zum ersten Mal einen Rennwagen mit Sechszylindermotor. Maybach entwirft bereits im Herbst 1905 ein ausgesprochen fortschrittliches Aggregat mit obenliegender Nockenwelle, hängenden Ventilen und doppelter Hochspannungs-Kerzenzündung. Der Motor hat einzelne Stahlzylinder, die auf das Kurbelgehäuse aus Leichtmetall montiert sind, Kühlmäntel und Zylinderkopf sind als gemeinsames Gussstück ausgeführt und mit den Stahlzylindern verschweißt. Diese grundlegende Konstruktion dient bei Mercedes und Mercedes-Benz noch mehrere Jahrzehnte lang als Vorbild für Höchstleistungsmotoren. Mit Zylinderabmessungen von 140 x 120 Millimetern und einem Gesamthubraum von 11,1 Litern leistet der Sechszylinder 78 kW bei 1400/min beziehungsweise 88 kW bei 1500/min. Nie zuvor sind derart hohe Drehzahlen im Motorenbau realisiert worden – Maybach macht sie möglich, indem er alle bei der Ventilsteuerung bewegten Massen möglichst klein hält.

1908: Sieg beim Grand Prix von Frankreich

Im dritten Anlauf gelingt es der DMG, den Grand Prix von Frankreich, das prestigeträchtigste Rennen dieser Jahre, zu gewinnen: Am 7. Juli 1908 siegt Christian Lautenschlager auf dem neuen Mercedes 140 PS Grand-Prix-Rennwagen vor zwei Benz-Fahrzeugen. Auf dem 77 Kilometer langen, über öffentliche Straßen führenden Rundkurs bei Dieppe müssen zehn Runden mit insgesamt 769,88 Kilometer zurückgelegt werden. 48 Autos nehmen teil. 300.000 Zuschauer verfolgen das Spektakel. Die Rennstrecke mit ihren vielen Schlaglöchern lässt den Grand Prix zur Tortur für Männer und Maschinen werden: Einige Mannschaften fallen sogar nur deshalb aus, weil sie nicht genug Ersatz für die zahlreichen kaputten Pneus auf der schlechten Straße vorrätig haben. Auch die Reifen an den Mercedes-Fahrzeugen werden hart hergenommen, allein der spätere Sieger Christian Lautenschlager auf dem Grand-Prix-Rennwagen Mercedes 140 PS verzeichnet 22 Reifenwechsel während des Rennens. Trotz der ungünstigen Bedingungen fährt er nach 6 Stunden, 55 Minuten und 43 Sekunden als Erster ins Ziel, knapp neun Minuten vor Hémery und Hanriot, beide auf Benz. Seine Durchschnittsgeschwindigkeit über die Gesamtdistanz beträgt eindrucksvolle 111,1 km/h.

Der Motor des Rennwagens hat zwei untenliegende Nockenwellen, obenhängende Einlassventile und seitlich stehende Auslassventile. Damit entspricht der Reihenvierzylinder dem von Wilhelm Maybach entwickelten Konzept, nach dem die Rennsportmotoren der Jahre 1903 bis 1906 konstruiert sind. Aus einem Hubraum von 12,8 Litern mobilisiert der Rennwagen eine Leistung von 99 kW bei 1400/min. Das Siegerfahrzeug von Dieppe ist 1908 auch Basis des Semmering-Rennwagens Mercedes 150 PS, auf dem Otto Salzer gleich beim ersten Einsatz in der Klasse der Rennwagen ohne Beschränkung das zehnte Semmering-Rennen am 20. September 1908 für sich entscheidet. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 81,2 km/h stellt Salzer dabei einen neuen Rekord auf. Ein Jahr später legt er die Messlatte mit 84,3 km/h erneut höher. 1910 erhält der Motor Aluminiumkolben und erreicht eine Leistung von 132 kW. Das solchermaßen ausgestattete Fahrzeug setzt bei der Woche von Ostende am 16. Juli 1910 mit einer Höchstgeschwindigkeit von 173,1 km/h über den fliegenden Kilometer einen glanzvollen Schlusspunkt seiner Karriere.

Der erste Grand Prix von Frankreich ist die Geburtsstunde des modernen Formel-Rennsports. Allerdings wird es dauern, bis sich aus der einmaligen Veranstaltung eine kontinuierliche Reihe entwickelt: Wegen der hohen Nenngelder boykottieren die führenden Automarken den 1909 geplanten Grand Prix, der deshalb abgesagt werden muss. Erst 1912 richtet Frankreich wieder einen Großen Preis aus. Die DMG lässt in dieser Zeit zwar keine Werksmannschaften mehr bei Rennen starten, baut aber weiterhin für private Interessenten hochkarätige Rennwagen. Der 1911 vorgestellt Mercedes 37/90 PS Rennwagen ist ein Hochleistungsfahrzeug, der auf genau diese Gruppe zielt. Sein 9,5-Liter-Vierzylindermotor hat eine kombinierte Batterie- und Magnetzündung mit zwei Kerzen pro Zylinder. Ein bemerkenswertes Konstruktionsdetail ist auch die bei Mercedes erstmals realisierte Dreiventiltechnik mit einem Einlassventil und zwei Auslassventilen pro Zylinder, die konventionell von einer untenliegenden Nockenwelle über Stoßstangen und Kipphebel gesteuert werden. Bei einigen Rennwagen kommt eine leistungsgesteigerte Ausführung dieses Serienmotors zum Einsatz. In den Jahren 1911 bis 1913 erringen zwei dieser Wagen mit Spencer Wishart und Ralph de Palma am Steuer zahlreiche Rennerfolge in den USA. Beide Exemplare haben Holzspeichenräder und sind mit einer spitz zulaufenden Kühlerverkleidung ausgerüstet.

1913 will die DMG in den Grand-Prix-Rennsport zurückkehren und baut zwei völlig neue Rennfahrzeuge auf: Die Grand-Prix-Rennwagen Mercedes 90 PS und Mercedes 100 PS, die mit zwei als Flugmotoren entwickelten Aggregaten ausgestattet werden. Beide Maschinen haben im Januar 1913 beim Kaiserpreis-Wettbewerb für den besten deutschen Flugmotor die Plätze zwei und vier belegt. Die Motoren mit obenliegender Nockenwelle und hängenden Ventilen haben zahlreiche Gemeinsamkeiten mit Maybachs bahnbrechendem Sechszylinder-Rennwagenmotor des Jahres 1906: Der 7,2-Liter-Sechszylinder DF 80, der im Kaiserpreis-Wettbewerb den zweiten Platz erzielt, hat einzelne gedrehte Stahlzylinder, von denen je zwei mit gemeinsamen, aufgeschweißten Stahlblech-Kühlmänteln versehen sind. Seine Leistung beträgt 67 kW bei 1400/min. Der großvolumige Vierzylinder G 4F, im Kaiserpreis-Wettbewerb mit dem vierten Platz bedacht, mobilisiert aus 9,2 Liter Hubraum sogar 74 kW bei 1350/min. Zum Grand Prix von Frankreich am 12. Juli 1913 auf dem Circuit de Picardie bei Amiens dürfen die Wagen aber nicht starten: Weil sie nicht vom Werk selbst, sondern vom belgischen Vertreter Theodor Pilette gemeldet worden sind, weist der Automobile-Club de France die Nennung zurück.

Immerhin kommen drei der neuen Fahrzeuge drei Wochen später beim Grand Prix de la Sarthe bei Le Mans zum Einsatz: Pilette liegt mit seinem 74 kW starken Vierzylinderwagen lange in zweiter Position und kommt nach einem Reifenschaden auf Platz drei – allemal ein Achtungserfolg. Seine Teamkollegen Otto Salzer und Christian Lautenschlager belegen mit ihren 67 kW starken Sechszylinderwagen die Plätze vier und sechs. Alle drei Fahrzeuge sehen sich mit vorn leicht zusammenlaufenden Rahmenträgern und Spitzkühler zum Verwechseln ähnlich. Allerdings hat der Vierzylinderwagen auf der linken Seite vier in den Sammler laufende Auspuffrohre, während die Sechszylinderwagen drei sichtbare Auspuffrohre haben. Beim gleichen Rennen belegt außerdem der Belgier Léon Elskamp mit dem älteren Mercedes 37/90 PS auf Basis des Grand-Prix-Rennwagens von 1908 den siebten Rang. Elskamp siegt 1913 auch beim Großen Preis des Belgischen Automobil-Clubs in Spa auf einem Mercedes-Knight 16/45 PS mit 99,7 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit.

Den Erfolg von 1908 übertrifft Mercedes schließlich 1914 mit einem Dreifachsieg von Christian Lautenschlager, Louis Wagner und Otto Salzer ebenfalls beim französischen Grand Prix, der auf einem 37,6 Kilometer langen Rundkurs südlich von Lyon durchgeführt wird. Erstmals sieht ein Reglement eine Hubraumbegrenzung vor, das Limit liegt bei 4,5 Litern. Daimler tritt mit dem Grand-Prix-Rennwagen Mercedes 115 PS an. Dieses Fahrzeug hat einen völlig neu konstruierten Vierzylinder-Motor mit obenliegender Nockenwelle sowie zwei Einlass- und zwei Auslassventilen pro Zylinder – erstmals wird damit die Vierventiltechnik in einem Mercedes-Motor realisiert. Die Ingenieure legen den Rennmotor für eine kontinuierliche Drehzahl von 3500/min aus – ein für damalige Verhältnisse geradezu sensationeller Wert. Neu ist im Vergleich zu den vorhergehenden Grand-Prix-Wagen auch die Umstellung von Ketten- auf Kardanantrieb.

Am 4. Juli 1914 startet das Mercedes-Team nach intensiver Vorbereitung mit fünf dieser Wagen gegen eine vermeintlich übermächtige Konkurrenz – vor allem Peugeot und Delage aus Frankreich, Sunbeam aus England und Fiat aus Italien. 20 Runden und damit rund 750 Kilometer sind auf dem schwierigen Kurs zurückzulegen. Christian Lautenschlager, Louis Wagner und Otto Salzer erringen nach mehr als sieben Stunden einen triumphalen Dreifachsieg, der den Mercedes-Erfolg des Jahres 1908 noch einmal deutlich übertrifft. Die Konstruktion des Motors mit der unternehmensinternen Bezeichnung M 93654 gilt als wegweisend. Und sie wird sogar Vorbild für Rolls-Royce-Flugmotoren des Ersten Weltkriegs: Nach dem Sieg in Lyon kommt ein Fahrzeug zu Demonstrationszwecken nach England, wo es vom Kriegsbeginn überrascht wird und dort verbleibt. Der Ingenieur Walter Owen Bentley kennt den Wert des Fahrzeugs und lässt es bei Rolls-Royce zerlegen und analysieren. Für seine eigenen Motoren übernimmt Bentley die Konstruktion des Ventiltriebs.

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1921: Neustart nach dem Ersten Weltkrieg

Nach Kriegsende 1918 kann Mercedes die Rennaktivitäten nur unter schwierigen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen wieder aufnehmen. Allein die Einschränkungen für deutsche und österreichische Fahrer bei wichtigen Wettbewerben wie dem Grand Prix von Frankreich stellen eine Zäsur dar. Das erste Wettbewerbsfahrzeug, das die Daimler-Motoren-Gesellschaft nach dem Krieg präsentiert, ist der Mercedes 28/95 PS Rennsport-Tourenwagen des Jahres 1921. Der Typ stellt keine völlige Neuentwicklung dar, sondern baut auf dem Mercedes 28/95 PS Sport-Tourenwagen von 1914 auf. Er wird mit einem neuen Motor ausgestattet, der unter anderem paarweise gegossene Zylinder hat. Auf diesem Wagen erringen die Mercedes-Fahrer 1921 erste Erfolge.

Otto Salzer erzielt am 25. Mai 1921 auf einem Sportzweisitzer mit verkürztem Radstand beim Bergrennen Königsaal-Jilowischt die beste Zeit aller Klassen und stellt einen neuen Streckenrekord auf. Um Langstreckentauglichkeit geht es bei der Targa Florio in Sizilien, wo Werksfahrer Max Sailer am 29. Mai den zweiten Platz im Gesamtklassement belegt und die Coppa Florio gewinnt, den für den schnellsten Serienwagen bestimmten Preis. Sailer hat seinen Rennwagen selbst umgebaut und fährt ihn auf eigener Achse nach Sizilien. Im Jahr darauf ist Sailer mit dem Mercedes 28/95 PS wieder dort. Der Motor hat inzwischen einen Kompressor, der eine Leistungssteigerung auf 103 kW ermöglicht. Sailer siegt in der Klasse der Serienwagen über 4,5 Liter und belegt Platz 6 der Gesamtwertung.

1922: Morgendämmerung der Kompressor-Ära

Auch zwei völlig neu entwickelte 1,5 Liter-Rennwagen Mercedes 6/40/65 PS mit Kompressormotor gehen bei der Targa Florio 1922 für die DMG an den Start. Damit ist der Wettbewerb auf Sizilien das erste Rennen, bei dem Stuttgarter Kompressorwagen zum Einsatz kommen. Gesamtsieger der Targa Florio 1922 wird allerdings kein mechanisch aufgeladenes Fahrzeug, sondern der von Graf Giulio Masetti gesteuerte Mercedes-Rennwagen aus dem Jahr 1914 – jenes Fahrzeug, das Ralph de Palma 1914 in die Vereinigten Staaten geholt hatte. Flugmotoren darf die DMG nach dem Krieg nicht mehr bauen. Aber die Erfahrungen mit der mechanischen Aufladung der Flugzeugantriebe sollen nun den Fahrzeugmotoren aus Stuttgart zugute kommen.Ende 1921 sieht man bei der DMG gute Chancen für eine Beteiligung in der Voiturette-Klasse der Rennwagen. Für sie gilt eine Hubraumbegrenzung von 1500 Kubikzentimetern. Interessant ist diese Klasse wegen ihrer hohen Akzeptanz in England und Italien, die als potentielle Exportmärkte und weltweite Multiplikatoren gelten. Mit dem im September 1921 neu in Berlin vorgestellten Motor M 68084 des Kompressorwagens Typ 6/25 PS hat Daimler eine brauchbare Ausgangsbasis, wenngleich dieser Motor mit einem Hubraum von 1,6 Litern das vom Rennreglement festgelegte Limit überschreitet.

Die Konstruktion dieses Basismotors wird für den Renneinsatz gründlich überarbeitet und damit sogar zum Urmeter aller Mercedes- und Mercedes-Benz Rennmotoren bis in die 1950er Jahre hinein. Das Verhältnis von Bohrung zu Hub wird auf das Maß 65 x 113 Millimeter geändert und ergibt so einen Hubraum von genau 1499,87 Kubikzentimetern. Damit wird das vom Reglement vorgeschriebene 1,5 Liter-Limit bis zum letzten Zehntel ausgenutzt. Auch bei der Gestaltung des Zylinderkopfs geht man in Untertürkheim neue Wege und konstruiert einen reinrassigen Rennmotor mit zwei obenliegenden Nockenwellen und vier in einem spitzen Winkel hängenden Ventilen. Die Zündkerze sitzt optimal im Zentrum des Brennraums zwischen den beiden Ventilpaaren. Die Nockenwellen werden wie beim Basismotor per Königswelle angetrieben, jedoch ist es hier eine Querwelle für beide Nockenwellen. Seinen ersten Renneinsatz erlebt der 1,5-Liter-Rennwagen im April 1922 mit zwei Fahrzeugen bei der Targa Florio in Sizilien neben zwei Mercedes Grand-Prix-Rennwagen von 1914 und zwei 28/95 PS Rennsport-Tourenwagen, von denen einer ebenfalls mit Kompressor ausgerüstet ist. Paul Scheef bringt es mit einem der beiden 1,5 Liter-Kompressorwagen im Gesamtklassement nur auf Platz 20, der italienische Fahrer Fernando Minoia, der den zweiten Kompressorwagen pilotiert, muss aufgeben. Trotz dieses etwas unglücklichen Starts begründet der Mercedes 6/40/65 PS eine ganze Ahnenreihe von Kompressor-Rennwagen, die von 1924 an für die Marken Mercedes und Mercedes-Benz außergewöhnliche Erfolge erzielen und damit Weltruhm erlangen.

Nachdem Paul Daimler die DMG verlassen hat, wird Ferdinand Porsche – zuvor bei Austro-Daimler in Wien tätig – im Jahr 1923 neuer Chefkonstrukteur. Auf der Basis des Indy-Fahrzeugs entwickelt er den Rennwagen für die Targa Florio im April 1924. Zahlreiche Detailverbesserungen machen den Boliden zum viel versprechenden Anwärter auf den Sieg. Das Rennen wird mit einem hohen Kosten- und Zeitaufwand vorbereitet: Schon im Januar senden die Stuttgarter zwei Testfahrzeuge nach Sizilien, und aus besonderen Gründen wird der spätere Siegerwagen nicht weiß, sondern rot lackiert. Das ist keine freundliche Geste gegenüber dem gastgebenden Land, sondern schlaue Taktik: Weil das Publikum die Rennwagen anderer Nationen schon von fern an der Farbe erkennt, werfen manche Zuschauer Steine auf missliebige Konkurrenten. Christian Werner siegt in dem 540 Kilometer langen Rennen. Christian Lautenschlager kommt auf Platz 10, und ein neuer Rennfahrer im DMG-Team erreicht den 15. Rang: Der 33jährige Alfred Neubauer, der Ferdinand Porsche aus Wien nach Untertürkheim gefolgt ist. Neubauer wird in der Zukunft Rennsportgeschichte für Mercedes-Benz schreiben – allerdings nicht als Fahrer, sondern in der Rolle des Rennleiters. Nach der Targa Florio wird der Wagen noch bei anderen Rennen eingesetzt. Für Sprint- und Bergrennen lässt sich Otto Salzer in das Fahrgestell sogar einen 4,5-Liter-Motor des Grand-Prix-Wagens von 1914 einbauen, der zusätzlich noch mit einem Kompressor bestückt wird. Mit „Großmutter“, wie Salzer das Ungetüm nennt, erringt er unter anderem den Sieg beim Semmeringrennen im September 1924. Später starten auch Rudolf Caracciola und Alfred Rosenberger mit dem Fahrzeug.

Fortsetzung nächste Woche...

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