Mercedes-Benz Supersportwagen Teil 2

Mercedes 35 PS bis SSK - Beginn einer Ära

Mercedes-Benz Supersportwagen  Teil 2: Mercedes 35 PS bis SSK  -  Beginn einer Ära
Erstellt am 18. Mai 2010

Wilhelm Maybach, Chefkonstrukteur der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG), entwirft im Jahr 1900 das erste Automobil moderner Prägung. Der hochmoderne, 1000 Kilogramm leichte Wagen mit tief liegendem Schwerpunkt, der als erster den Produktnamen „Mercedes“ trägt, ist auf Anregung von Emil Jellinek entstanden. Zu den Merkmalen des Fahrzeugs gehört neben dem visionären Zuschnitt, der den endgültigen Abschied des Automobils vom Kutschenbau markiert, der leistungsstarke Antriebsstrang. Ein völlig neu entwickelter, 27 kW starker Leichtmetallmotor treibt den Mercedes an, die Kühlung übernimmt der neue Bienenwabenkühler Maybachs. Diese Zutaten machen den Mercedes 35 PS zum ersten Supersportwagen in der Markengeschichte – wenn er ein sportliches Kleid trägt, denn wie damals üblich wird er mit einem Aufbau nach Kundenwunsch versehen.

Der erste Supersportwagen: Mercedes 35 PS

Die Höchstgeschwindigkeit des Wagens beträgt 75 km/h, mit einer leichten Sportkarosserie sogar knapp 90 km/h – das sind zu dieser Zeit absolute Spitzenwerte. Und prompt dominiert das deutsche Hochleistungs-Automobil im März 1901 die Rennwoche von Nizza: Der Mercedes 35 PS der DMG siegt bei Bergrennen, Straßenrennen und beim Sprint über die Meile.So begründet Wilhelm Maybachs Entwurf die Kultur der Supersportwagen von Mercedes-Benz. Denn der erfolgreiche Rennwagen ist kein reines Wettbewerbsfahrzeug, sondern wird als exklusives Automobil an sportlich ambitionierte Kunden verkauft. Das steht auch für Emil Jellinek außer Frage, als er die DMG zur Konstruktion dieses überragenden Fahrzeugs anregt: Seit 1897 vertreibt Jellinek als selbständiger Händler in Nizza an der französischen Côte d’Azur Daimler-Automobile an Kunden aus exklusiven Kreisen. So kaufen die Rothschild-Familie und weitere bekannte Persönlichkeiten Wagen bei ihm. Bis zum Tode Gottlieb Daimlers im Jahr 1900 setzt Jellinek auf diese Weise immerhin 34 Autos ab – eine respektable Zahl in einer Epoche kleinster Bauzahlen.

Jellinek überzeugt schließlich Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach, einen leistungsstarken Wagen zu bauen. Das neue Fahrzeug der DMG soll unter dem Markennamen „Mercedes“ in Nizza starten. Denn so lautet das Pseudonym Jellineks, unter dem er sich und sein Rennteam seit 1899 bei Wettfahrten registriert. Schon damals erkennt der Händler, dass leistungsstarke Sportwagen nicht nur ein mächtiges Werbewerkzeug für den Hersteller sind, sondern auch die Technik der Zukunft in der Großserie vorwegnehmen können: „Ich will das Auto von übermorgen!“, fordert er von den DMG-Ingenieuren. Gleichzeitig bestellt er 36 Wagen zum Gesamtpreis von 550 000 Mark.

Der erste neue Wagen vom Typ 35 PS wird am 22. Dezember 1900 an Jellinek geliefert. Schon am 4. Januar 1901 veröffentlicht die „L’Automobile-Revue du Littoral“ einen Beitrag, in dem es heißt: „Neues zu sehen gibt es derzeit nicht in Paris, sondern in Nizza. Der erste in den Werkstätten von Cannstatt gebaute Mercedes-Wagen ist nämlich in Nizza angekommen und dank dem Entgegenkommen seines Besitzers, Herrn Jellinek, konnten ihn alle Fahrer begutachten. Wir halten mit unserer Meinung nicht zurück: Der Mercedes-Wagen ist sehr, sehr interessant. Dieses bemerkenswerte Fahrzeug wird bei den Rennen im Jahre 1901 ein gefürchteter Konkurrent sein.“ Das bewahrheitet sich auf der Rennwoche in Nizza im März 1901: Vier erste und fünf zweite Plätze fahren die neuen Mercedes-Wagen nach Hause, und das in so unterschiedlichen Disziplinen wie Distanzfahrt, Bergrennen und Meilenrennen. Paul Meyan, Generalsekretär des Automobilclubs von Frankreich, prägt nach dieser Erfahrung den Satz: „Nous sommes entrés dans l'ère Mercédès“ („Wir sind in die Ära Mercedes eingetreten“).

Sportwagen des Jahres 1902: Mercedes Simplex 40 PS

Und Maybachs Rechnung, dass sich schnell Käufer für die exklusiven Hochleistungssportwagen finden, geht auf: 1901 kaufen unter anderem die amerikanischen Milliardäre Rockefeller, Astor, Morgan und Taylor die leistungsstarken Mercedes-Wagen der DMG. Der Mercedes 35 PS steht am Anfang einer Entwicklung, die auch in den folgenden Jahren viele leistungsstarke und exklusive Automobile hervorbringt. Dazu zählen insbesondere die Typen der Simplex-Familie. Sie sind das Ergebnis der gezielten Arbeit von Wilhelm Maybach an einem nochmals verbesserten Nachfolger der ersten Mercedes-Modellgeneration. Bereits im Herbst 1901 beginnt Maybach das Projekt, das dabei entstehende Spitzenmodell des Jahres 1902 ist der Mercedes-Simplex 40 PS. Er dominiert die Woche von Nizza im April 1902 ebenso wie ein Jahr zuvor der erste Mercedes.

Die nächste Entwicklungsstufe des siegreichen Supersportwagens ist der Mercedes-Simplex 60 PS von 1903. Er erlebt seine Sternstunde als Rennwagen, allerdings erst infolge einer Katastrophe: 1903 fällt die Daimler-Fabrik in Cannstatt weitgehend einem Brand zum Opfer. Dabei werden auch die drei Mercedes 90 PS zerstört, die für das Gordon-Bennett-Rennen vorgesehen sind. Deshalb lässt die Daimler-Motoren-Gesellschaft statt der Werksrennwagen Fahrzeuge vom Typ Mercedes-Simplex 60 PS an den Start gehen, die bereits an Kunden ausgeliefert wurden und vom Hersteller für das Rennen ausgeliehen werden. Einen dieser Wagen steuert der belgische Rennfahrer Camille Jenatzy gegen stärkste internationale Konkurrenz zum Sieg. Der Mercedes-Simplex 60 PS steht somit für einen der legendärsten Motorsporterfolge der Marke Mercedes.

Legendär: Der Blitzen-Benz

Zu den Spitzenmodelle der DMG, die als Vorläufer und Wegbereiter moderner Supersportwagen anzusehen sind, gehören auch der Mercedes 75 PS mit Sechszylindermotor (1906), der Mercedes 37/90 PS mit Dreiventiltechnik, Doppelzündung und gekapselten Antriebsketten (1911) sowie der Mercedes 28/95 PS mit einem von der Flugzeugtechnik inspirierten Sechszylindermotor mit obenliegender Nockenwelle, V-förmig hängenden Ventilen und aus Stahl gedrehten Zylindern (1914). Benz & Cie., bis zur Fusion beider Unternehmen im Jahr 1926 ein Mitbewerber der DMG, trägt im Jahr 1909 mit einem ganz berühmten Fahrzeug zumindest eine kleine Facette zur Geschichte der Supersportwagen bei: mit dem Benz 200 PS, der unter dem Namen „Blitzen-Benz“ zahlreiche Rekorde fährt und als schnellstes Auto seiner Zeit in die Technikgeschichte eingeht. Er hat einen 21,5-Liter-Motor mit einer Leistung von 147 kW und gehört in die Riege der Supersportwagen: Denn im Unterschied zu Experimentier- und Rekordfahrzeugen späterer Jahre wird der Benz 200 PS sowohl an Kunden verkauft wie auch bei Motorsportveranstaltungen eingesetzt.

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Rennsport und exklusive Kundenfahrzeuge, das liegt bei Mercedes-Benz auch Ende der 1920er Jahre eng beieinander. Das zeigt beispielsweise der Mercedes 24/100/140 PS Modell K, der 1926 erscheint. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 155 km/h ist er der schnellste Tourenwagen der Welt und wird auch bei Sportveranstaltungen eingesetzt. Das „K“ in der Typenbezeichnung steht für „Kurz“, da der Hochleistungssportwagen mit leistungsgesteigertem Kompressormotor auf dem gekürzten Fahrgestell des 24/100/140 PS basiert.

„Super-Sport Kurz“: Der Sportler unter den „weißen Elefanten“

Kurz darauf kommt eine Familie besonderer Kompressor-Sportwagen auf den Markt, die Typen S, SS, SSK und SSKL. In ihr markiert der 1928 vorgestellte Typ SSK die höchste Entwicklungsstufe der auch an Kunden verkaufen Fahrzeuge. Dieser Supersportwagen trägt die Zugehörigkeit zu der exklusiven Gattung schon im Namen. Denn das Kürzel steht für „Super-Sport Kurz“. Der Typ SSK ist die logische Weiterentwicklung aus dem 1927 präsentierten Typ S („Sport“) und dem Modell SS („Super-Sport“). Beide Modelle sind bereits hoch exklusive und leistungsstarke Sportwagen. Doch der SSK erreicht nochmals ein weiteres Niveau.

Er hat wie der SS einen neuen 7,1-Liter-Motor (unternehmensinternes Kürzel: M 06) mit mechanischem Lader. Das Aggregat leistet zu Beginn der Produktionszeit 147 kW, in der letzten Entwicklungsstufe sind es 184 kW. Der SSK ist durch seinen im Vergleich zum Typ SS kürzeren Radstand (2950 Millimeter statt 3400 Millimeter, dazu kommt die entsprechend gekürzte Karosserie) auf höchste Wendigkeit ausgelegt. Zu den technischen Innovationen im Jahr 1928 gehören nasse Zylinderlaufbuchsen, um die Bohrung der Zylinder auf 100 Millimeter erhöhen zu können und so den Hubraum auf 7,1 Liter zu bringen. Die Kurbelwelle mit vier Hauptlagern erhält einen Schwingungsdämpfer, und eine Renn-Nockenwelle für den sportlichen Einsatz steigert die Leistung. Die ein Kompressor noch einmal erhöht: Er wird eingeschaltet, indem das Gaspedal ganz durchgetreten wird. Auf Wunsch gibt es auch Kompressoren mit größeren Drehflügeln, welche die Leistung nochmals erhöhen. Renn-Kompressoren und Renn-Nockenwellen stehen auch Privatfahrern für ihren SSK zur Verfügung.

Erfolgreicher Supersportler: Mercedes SSK

Die Kompressor-Sportwagen S, SS und SSK fahren zahlreiche Siege bei Wettbewerben ein. Dabei erweist sich der Typ SSK als besonders erfolgreich. Rennfahrer Rudolf Caracciola wird 1929 auf Mercedes-Benz SSK Gesamtsieger des Prager Bergrennens Königsaal-Jilowischt und der International Tourist Trophy in Irland. August Momberger und Max Arco-Zinneberg gewinnen in der Klasse der Sportwagen mit mehr als 3 Liter Hubraum im selben Jahr den Großen Preis der Nationen für Sportwagen auf dem Nürburgring. Caracciola sichert sich in der Saison 1930 auf Mercedes-Benz SSK den Titel des Europa-Bergmeisters für Sportwagen. Vom Supersportwagen SSK leiten die Mercedes-Benz Ingenieure 1931 eine reine Rennsportversion ab, die auch unter der Bezeichnung SSKL (Super-Sport Kurz Leicht) bekannt ist. Auf dem SSKL gewinnt Caracciola im Frühjahr 1931 die italienische Fernfahrt „Mille Miglia“ von Brescia nach Rom und zurück – als erster Nicht-Italiener.

Klausenrennen 1930: Klassensieger in der Sportwagen-Wertung ist Rudolf Caracciola auf Mercedes-Benz SSK



Der Mercedes-Benz SSK wird bei Rennen nicht nur vom Werksteam, sondern auch von zahlreichen Privatfahrern mit großem Erfolg eingesetzt. Das unterstreicht die Anlage des Supersportwagens als wettbewerbstaugliches Kundenfahrzeug. Aber nicht alle

Käufer wollen ihren Typ SSK im Rennsport einsetzen. Einige vermögende, sportlich orientierte Kunden lassen sich das ab Werk lieferbare Fahrgestell stattdessen mit einem Cabriolet-Aufbau versehen, um den SSK als schnellen Sportwagen im Alltagsbetrieb zu fahren. Von 1928 bis 1932 werden laut offizieller Werksstatistik 33 Exemplare der legendären Typen SSK und SSKL gebaut, 20 davon allein im Jahr 1929. Während es den SSKL nie als Kundenfahrzeug gegeben hat, ist der Typ SSK bis Februar 1933 offiziell erhältlich. Danach weist ihn die Preisliste von Mercedes-Benz nicht mehr aus.

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