Die unverwüstlichen Sterne von Marokko

Impressionen von den Mercedes-Taxis im Nordwesten von Afrika

Die unverwüstlichen Sterne von Marokko: Impressionen von den Mercedes-Taxis im Nordwesten von Afrika
Erstellt am 27. September 2011

Sicher ist die Frage für Autoliebhaber eine eher ungewöhnliche, aber bereits renommierte Literaten warfen sie des Öfteren auf: Wohin um alles in der Welt verschwindet der antagonistische Socken? Mad-Max ähnlich gehen zwei Socken rein in die Trommel, einer kommt nur heraus. Die Theorie mit dem Paralleluniversum, in dem man die jeweils verschollenen Gegenstücke angeblich finden soll, ist weder bewiesen noch belegt. Doch irgendwo müssen sie ja sein?

Vergleichbar verhält es sich anscheinend mit den ganzen alten Mercedes-Modellen. Wo sind die alle hin verschwunden? Sockengleich in einer Zwischenwelt, für Normalsterbliche nicht wahrzunehmen? Muss man ein Medium konsultieren, um die Geisterflotte der 123-er bei besonderer Planetenkonstellation sichtbar zu machen?

Zwar brechen an Stammtischen von „MB-Fetischisten“ durchaus religionskriegsähnliche Diskurse aus, aber man muss sich nicht schwerwiegend dem Okkultismus hingeben, um diesem „Rätsel des Alltags“ auf die Spur zu kommen. Mit ein paar Mausklicks im Internetauftritt des einen oder anderen Billigfluganbieters begibt man sich wie einst der berühmte Hollywood-Archäologe in die Stadt, in der alles möglich ist. „Geht nicht, gibt’s nicht““, hat sich zwar ein Heimwerkermarkt auf die Fahne geschrieben, aber entliehen ist das eher dem Umstand, dass es in DER Stadt, die den Mythos „Orient“ seit Jahrhunderten am meisten und farbenfrohsten mehrte, nichts gibt, was man nicht bekäme.

Die Rede ist von Marrakesch. Naja, und nicht nur davon, sondern auch von Marokko selbst. Nun soll hier aber auch keine Werbetrommel für eine Reise nach Marokko gerührt werden, auch wenn es sich in der Tat lohnt, dem Ausspruch „...Die Welt ist ein Pfau und Marokko ist sein Schweif...“ mal auf den obligatorischen Zahn zu fühlen. Was des Benzonauten-Herz ins Frohlocken versetzen könnte, ist die Tatsache, dass man an jeder erdenklichen Ecke, sei es eben in Marrakesch, Safi oder Essaouira und auch anderswo die Stern-Maschinen in überdimensionalen Häufigkeit antrifft.

Ein Taxi-Tachostand jenseits der 500.000 ist in Marokko nichts Besonderes

Die Haltbarkeit der unkaputtbaren Motoren mit sagenumwobenen Kilometerleistungen meißeln den W123 ja nahezu uneinholbar in den heiligen Hallen der Pannenstatistik in Granit. Daneben wurden auch von keinem anderen Modell soviele Fahrzeuge in die Welt entlassen. Knapp 2,7 Millionen Exemplare rollten vom Band, etwas weniger als die Hälfte setzen ihre Pneus dabei aber auch schon gleich auf ausländischen Fahrbahnbelag. Und somit erklärt sich auch, warum der Nahe Osten und Afrika kreuz und quer von Sternenhauben durchkreuzt wird. Weniger die Neuwagen, aber die immer noch zahlreichen Gebrauchten finden NATÜRLICH als Taxi ihre Weiterverwendung. Und in geballter Form – wie es scheint - in Marokko. Naja, die „Schulter Afrikas“ stützt eben mit solider Technik-Schulter den Alltag des Maghreb – logisch, oder?

So kutschen im sog. „Grand Taxi“ die Leute – gerne mal zu fünft (2 vorne auf dem Beifahrersitz, drei im Fond) – in den je nach Stadt farblich „kodierten“ Vierzylinder-Treckern Überland von Ort zu Ort. Extra-Haltestellen mit einem eignen Schild bündeln dabei fast schon museumsgleich mind. 3 bis 4 Modelle aus der Sindelfinger Schmiede. In Marrakesch in Aprikosenmus-Farben getünchte W123, W124, W126 und ab und an ein schwer übermotorisierter W201 oder ein W140. Vom Strich-Achter schwärmt der lokale Taxi-Chaffeur emotional geschüttelt. Finden tut man ihn aber eher nur noch in der Häufigkeit wie einen chinesischen Flussdelphin.

Allen gemein ist aber der Hang zum Hubraum. So prangt selten etwas unter „240“ am Heck. Beim 190´er wird da akribisch auf die ergänzende Beliterung geachtet. Es soll ja schließlich jeder sehen, dass man ein 2,5-Liter-Turbo-Dieselaggregat seit 780.000 km sein eigen nennt. Und für den Fall, dass man hinter einem der nicht unseltenen sich in „Privathand“ befindlichen Baureihen W202 oder W140 hergondelt, legt sich der schwer gerührte Neider schon mal eine Packung Kleenex vorne auf die Ablage.

Individuelle Taxifarben - azurblaue Taxis in der "Blauen Stadt" Essaouria

Zwar nicht aus der kompletten Palette aller Farben des Orientes rekrutiert, aber schon individuell, passt der marokkanische Taxi-Kutscher sein Arbeitsgerät in lokal wieder erkennbarer Lackierung an. In Safi – eine Industrie-Stadt an der Westküste Marokkos – schlingern alle großen Taxis in schneeweiss unter der senkrecht stehenden Mittagssonne durch die Gegend. In Essaouria – der „Blauen Stadt“ an der windbeschenkten Atlantikküste - sind alle „Grands“ wie die Fischerboote standesgemäß in strahlendem Azurblau weithin erkennbar. Dass man hier und da noch recht neuwertige S-Klassen antrifft mag wohl daran liegen, dass der W126 von Mercedes-Benz South Africa noch bis 1994 hergestellt wurde. Und ein Exemplar mit besonders viel „Herzblut“, denn die Arbeiter am Kap schmiedeten IHRE S-Klasse als persönliches Geschenk für ihren damaligen Präsident Nelson Mandela zusammen.

Aller Alltagsverwendung zum Trotze zelebrieren gerade die Fahrer, die einen 500 SEL durch den hektischen Verkehr zwischen all den kleinen Stadttaxis, Moped, Mofa, Pferdekutschen, Fahrradfahrern und Bussen gleiten lassen, dann doch ihren Auftritt. Erster in der Haltereihe oder aufwendiges In-Sieben-Zügen-Wenden mit dazu gehörigem Aufhalten des „Fussvolkes“ sind das Repertoire, dessen sich bedient wird. Einzig schade dabei ist, dass den meisten Kühlern der Stern fehlt.

"STERNE FÜR MAROKKO!“, ist das Motto der Stunde. Damit in Marokko nicht nur ein Stern auf der Flagge weht, sondern auch auf den Hauben der Transporteure prangt.



Text & Fotos: Michael Papendieck

14 Bilder Fotostrecke | Die unverwüstlichen Sterne von Marokko: Impressionen von den Mercedes-Taxis im Nordwesten von Afrika #01 #02

1 Kommentar

  • llensart

    Llensart

    Mine is in San Diego California

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