Der etwas andere Blick auf den Mercedes-AMG SL 63 4MATIC+ R232

Zurück zu den Wurzeln: Wieviel SL steckt wirklich drin im neuen SL?

Der etwas andere Blick auf den Mercedes-AMG SL 63 4MATIC+ R232: Zurück zu den Wurzeln: Wieviel SL steckt wirklich drin  im neuen SL?
Erstellt am 13. Januar 2023

Der neue Mercedes-AMG SL will zurück zu seinen Wurzeln. Er möchte weniger ein gediegener Oberklasse-Roadster sein, sondern lieber ein reinrassiger Sportler. Und deutet man den Spruch „zurück zu den Wurzeln“ richtig, dann dürfte damit der „heilige Gral“ gemeint sein, die Rede ist vom 300 SL der Baureihe W198. Wird der neue SL diesem Maßstab gerecht? Kann der neue SL an die einstige Erfolgsgeschichte des SL anknüpfen? Oder ist der Mythos SL mittlerweile in weite Ferne gerückt?

Wo liegen denn nun die Wurzeln des SL? Dafür müssen wir 70 Jahre zurückspulen und wissen, dass der 300 SL in seinem Ursprung ein reinrassiges Motorsportfahrzeug war. Am 12. März 1952 präsentierte Mercedes-Benz den 300 SL (W 194), der direkt die Sportwagenrennen in Bern (Dreifachsieg) sowie auf dem Nürburgring (Vierfachsieg), die 24 Stunden von Le Mans (Doppelsieg) und die III. Carrera Panamericana in Mexico (Doppelsieg) gewinnen konnte.

Stand der SL schonmal vor dem Aus?

Aufbauend auf dem Rennwagen wurde der 300 SL der Baureihe W198 entwickelt. Der 300 SL Gullwing konnte wie sein Vorgänger im Motorsport begeistern und war aber nebenbei noch das Auto für die „Schönen und Reichen“. Aufgrund des hohen Kaufpreises konnte sich damals nur die „Belle Etage“ einen solchen Traumwagen gönnen. Prominente, Business-People oder Könige. Nach und Nach entwickelte sich der SL zum Oberklasse-Geschoss, der zuletzt als R/C107 (SLC) im Motorsport, u.a. im Rallye-Sport Anwendung fand.

Ab der Baureihe R129 war der SL dann ein reinrassiger Oberklasse-Cruiser. Luxus und Komfort standen anschließend den Folge-Baureihen R230 und R231 im Vordergrund. Die Kunden blieben allerdings nach und nach aus, und so soll es sogar kurz zur Debatte gestanden haben, den SL nach der Baureihe R231 einzustampfen. Eine Legende absägen? Das geht doch nicht! Und so verkündete Ex-Daimler-Boss Dr. Dieter Zetsche vor Jahren, dass der SL im Portfolio eine neue Chance erhalten soll.

Wer SL 63 fahren will, muss 200.000 Euro auf den Tisch legen

Um den SL vor dem Sensenmann zu retten, sollte das Projekt „Mercedes SL Total Recall“ auf den Weg gebracht werden. Ein SL, bei dem die Werte „sportlich“ und „leicht“ wieder mit mehr Bedeutung als bei den letzten Generation gefüllt werden. Zurück zu den Wurzeln. Zurück zum Motorsport und zurück auf die roten Teppiche dieser Welt. Gelingt Mercedes-Benz das mit dem neuen R232? Um das herauszufinden haben wir uns beim Autohaus Mercedes-Benz Schulte Oversohl aus Essen Kupferdreh einen SL 63 4MATIC+ geschnappt und dem 2+2-Sitzer auf den Zahn gefühlt. Bei der Hans Schulte Oversohl Kraftfahrzeuge GmbH in Essen wird Tradition groß geschrieben. Das 113-jährige Unternehmen spezialisiert sich auf Fahrzeuge der Marke Mercedes-Benz. Das Autohaus ist mit einem Areal von über 5000 m² ist im Herzen des Ruhrgebiets zu finden.

Am 28. Oktober 2021 präsentierte Mercedes-Benz stolz den neuen SL. Knapp ein Jahr später, im November 2022 wurde der SL dann mit dem goldenen Lenkrad als das schönste Auto des Jahres ausgezeichnet. Der große Run auf das Auto lässt aber noch auf sich warten. Das Netz ist voll mit teuren SL-Angeboten. Die Kunden scheinen zögerlich zu agieren. Liegt es am Design? Am Konzept? Oder vielleicht auch am Preis? Für einen SL 63 muss der Kunde – stand heute – knapp 200.000 Euro auf den Tisch legen. Der SL 63 AMG der vorherigen Baureihe R231 kostete damals aber auch um die 170.000 Euro, war also nicht viel günstiger, fand aber auch zu wenige Kunden.

Mit Hinterachslenkung zum Erfolg?

Um die Trendwende zu schaffen und doch ein Verkaufshit zu werden, hat man in Stuttgart einige Zutaten für den neuen SL in den Topf geworfen. Die entscheidendste Zutat dürfte die sein, dass der neue SL ausschließlich als AMG kommt und Mercedes-AMG in Affalterbach den SL komplett eigenständig entwickelt hat. Einen SL 400 oder einen SL 500 gibt es nicht mehr. Dafür tritt neben dem SL 63 noch der neue SL 43 an, der mit den 381 PS + 14 PS ausgestattet ist.

Eine weitere Zutat ist das klassische Stoffverdeck. Mit Stahldach ist der neue SL nicht zu bekommen. Es folgt eine hintere Sitzbank, auf der zwar keiner Sitzen kann, sich aber Handtaschen und Shoppingtüten gut verstauen lassen.
Erstmals kommt der neue SL auch mit Allradantrieb und Hinterachslenkung auf die Straße. Das soll die Performance verbessern und den SL gleichzeitig alltagstauglicher machen.

HSO hat den SL richtig schick konfiguriert

Optisch wirkt der neue SL auf den ersten Blick wie ein modernisierter GT Roadster. Ist das nun gut oder schlecht? Nun, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Geschmack ist bekanntermaßen und glücklicherweise verschieden. Wir hätte uns etwas mehr Abgrenzung zum GT gewünscht, was aber nicht heißt dass uns das Design des neuen SL nicht gefällt. Zumal er so, wie er hier vor uns steht, verdammt schick konfiguriert ist. Das Alpingrau harmoniert perfekt mit dem schwarzen Stoffdach und den schwarzen Felgen in 21 Zoll. 21 Zoll an so einem „kleinen“ Roadster ist schon eine Ansage und lässt den SL ziemlich bullig erscheinen. Ansosnten wirkt der SL 63 sehr harmonisch - von der bösen Haifischfront bis zum kräftigen Hinterteil mit den vier eckigen Auspuffblenden. Das kommt schon gut und sorgt dafür, dass Jung und Alt dem SL auf der Straße hinterher schauen.

Die Sitze wissen zu überzeugen, das Lenkrad wirkt etwas überfrachtet

Im Innenraum schmiegen sich die AMG-Sitze um Fahrer und Beifahrer wie ein Maßanzug. Perfekter Halt kombiniert hier bequemes Sitzen. Sitzanlagen konnte Mercedes-Benz schon immer. In keinen anderen Autos sitzen wir besser und bequemer als in einem Stern. Besonders prunkvoll ist das neue zentrale Display, dass sich elektrisch im Winkel verstellen lässt – damit hat der Fahrer die Möglichkeit, den Screen der Sonneneinstrahlung anzupassen.

Ansonsten verzichtet Mercedes-AMG auf nahezu alle Drück und Drehknöpfe. Das AMG-Lenkrad wirkt etwas überfrachtet. Drückschalter, Drehschalter, Hebel, Paddles, leuchtende Symbole – da bedarf es schon ein bisschen Eingewöhnungszeit. Nach zwei Tagen Fahrt hat man das meiste aber raus und weiß wie Tachodisplay und Multimedia mit ein paar Handgriffen bedient werden. Hat man „seine persönlichen“ Einstellungen gefunden, wurschtelt man eh kaum noch im System herum.

Das Herz des SL 63 ist ein V8

Altbewährtes befindet sich dagegen unter der Motorhaube. Während der C63 mit einen 4-Zylinder ausgestattet ist, hämmert im SL 63 noch ein V8. Im Topmodell SL 63 4MATIC+ leistet der AMG 4,0-Liter-V8-Biturbomotor 585 PS (430 kW) und ein maximales Drehmoment von 800 Nm garantiert neverending Schub. Den kombinierten Spritverbrauch gibt Mercedes mit 12,7-11, 8 l/100 km an. Da sind wir bei unseren Testfahrten leider nicht in die Nähe gekommen. Wir haben im Stadt- und Landverkehr zumeist knapp vor der 20-Liter-Grenze gelegen. Vielleicht muss man an dieser Stelle erwähnen, dass unser Testwagen mit gerade einmal 800 Kilometern noch in der Einfahrphase liegt und sich der Verbrauch mit mehr gefahrenen Kilometern noch eingroovt.

Für die Beschleunigung von 0-100 km/h soll der SL 63 nur 3,6 Sekunden benötigen. Sein Topspeed ist mit 315 km/h angegeben. Die Kraft wird mittels AMG SPEEDSHIFT MCT 9G Getriebe an die Räder übertragen. Eins sei gesagt, auch wenn wir dem SL - aufgrund der Einfahrphase - nicht seine vollen Sporen geben wollten, macht es unheimlich viel Spaß dieses Auto zu fahren. Mit dem neuen SL zeigt AMG mal wieder, dass den Affalterbachern in Sachen “Driving Performance“ kaum einer das Wasser reichen kann. Fahrspaß pur! Erst recht, wenn sich das Stoffverdeck öffnet und der Fahrtwind einem beim Cruisen durch die Haare gleitet. Was ein LeBENZgefühl!

Das Stoffverdeck soll es richten

Apropos Verdeck: Seid ihr Fan des Stoffverdecks? Oder hättet ihr euch lieber ein Stahldach gewünscht? Wir finden das Stoffverdeck richtig klasse. Ein Stoffverdeck trägt aus unserer Sicht etwas mehr klassische Eleganz in sich, was auch wieder zum Claim „Back to the roots“ passen würde. Sicher ist es in der Produktion auch günstiger als ein Stahldach? Das wäre ja genau nach dem Geschmack von Mercedes-Boss Ola Källenius, aber letzteres können wir hier nur vermuten. Stoff- oder Blechdach? Das ist eine Frage der Weltanschauung.

Fakt ist, den SL gibt es nur mit Stoffverdeck, dass sich entweder über die Comfort-Steuerung am Fahrzeugschlüssel oder am Touchscreen öffnen lässt. Wenn ihr das Verdeck über den Touchscreen öffnen möchtet, braucht ihr einen ruhigen Finger, denn sobald dieser etwas vom „Slider“ abrutscht, bricht das Fahrzeug den Vorgang zum Öffnen oder Schließen des Verdecks ab.

Mit den Türgriffen müssen wir noch warm werden

Etwas kritischer müssen wir auf die neuen Türgriffe blicken, die wie bei der S-Klasse elektrisch ein- und aus- der Türen fahren. Zwar sind die beleuchteten Türgriffe optisch ein Highlight auf jeder Flaniermeile, so richtig praktisch und ausgereift wirken sie aber nicht. So ist es uns gleich zweimal passiert, dass der Türgriff automatisch zugezogen wurde, als wir noch unsere Hand am Griff hatten. Aua...

Hat man die Hürde aber einmal überwunden und sich in den SL geschwungen (Ein- und Aussteigen fällt erstaunlich leicht!) , dann eröffnet sich dem Fahrer hinterm Volant die große Freiheit. Der Wind, der bollernde Klang des Motors, die Blicke die einen verfolgen – das hat schon etwas Magisches an sich. Und doch ist nicht alles Gold, was glänzt, denn der SL scheint sich – zumindest in seiner Verkaufs-Startphase schwerer zu tun, als erhofft.

Warum tut sich der neue SL bei der Kundschaft so schwer?

Warum wird der Kunde mit dem neuen SL nicht so richtig warm? Ist es vielleicht ein Nachteil, dass der neue SL nur als AMG zu bestellen ist? Der neue SL ist nun mehr ein aggressiver Sportler als gediegener Gleiter, aber das soll er ja laut Zielsetzung auch sein. „Ältere“ Kunden, die eher auf bequemes Cruisen, statt auf auf sportliches Fahren setzen wollen, dürften als Kunden schon mal wegfallen. Blicken wir auf die letzten Baureihen, also R129, R230 und R231 dürften dort viele Kunden hinterm Steuer gesessen haben, die den SL an einem schönen Sommertag einfach nochmal durch die Felder pilotieren wollen. Für diese Zwecke war ein SL 500 bislang die optimale Wahl.

„Back to the roots“ heißt nicht nur „zurück zu den Wurzeln“, sondern auch zurück zu „Sportlich“ und „Leicht“. Nun Sportlich ist der SL wirklich geworden. Leicht dagegen eher weniger, denn die elektronischen Helferlein und Assistenzsysteme bringen den kleinen Roadster auf ein Gesamtgewicht von 2180 Kilogramm. Das Gewicht von über 2-Tonnen merkt man durchaus bei schnelleren Kurvenfahrten, die der SL aber dennoch mit Bravour beherrscht.

Ist der neue SL denn nun ein SL?

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Der neue SL 63 will also zurück zu den glorreichen Zeiten. Das ist der Anspruch und das erklärte Ziel. Blicken wir zurück auf jene glorreichen Zeit stellen wir fest, dass ein erfolgreicher Mercedes-Benz SL neben den Aktivitäten im Motorsport auch von Stars und Sternchen gefahren wurde, auf dem Roten Teppich ein Highlight war, die Menschen die Kameras zückten wenn ein SL vorfuhr. Von all dem ist der neue SL 63 leider noch ein Stück entfernt. Denn einer ausgerufenen Strategie müssen auch entsprechende Taten folgen, sonst bleibt ein hipper Claim nichts anderes als eine leere Worthülse. Versteht uns nicht falsch, der neue SL ist ein Wahnsinns-Auto, aber für uns ist er weniger ein SL, sondern einfach nur ein richtig guter AMG.

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