Formel 1 GP von Russland in Sotschi

Doppelsieg mit Beigeschmack

Formel 1 GP von Russland in Sotschi: Doppelsieg mit Beigeschmack
Erstellt am 1. Oktober 2018

Beim Großen Preis von Russland in Sotschi konnte das Mercedes-AMG Petronas Motorsport F1 Team einen weiteren Doppelsieg einfahren und den Vorsprung in der Team- und Fahrerwertung weiter ausbauen. Trotzdem bleibt ein fader Beigeschmack wegen der Art und Weise, wie das Team WM-Leader Hamilton am führenden Bottas vorbei winkte.

Doppel-Pole mit lachendem Zweitplatzierten

Die "Rote Gefahr" in Form von Sebastian Vettel und seinem Ferrari schien bereits in den Trainigssessions mehr oder weniger gebannt. Die Rundenzeiten sprachen eine deutliche Sprache zugunsten der Silberpfeile. So hatte Vettel dann auch im Qualifying keine Chance gegen die beiden AMG-Piloten. Selbst ein krasser Schnitzer von Hamilton in seiner letzten Runde konnte Vettel nicht ausnutzen. Dafür holte sich aber Hamiltons Teamkollege Valtteri Bottas die Pole Position. Hamilton hingegen war überhaupt nicht traurig über den Verlust der Pole, was bei dem sieggewohnten und mega ehrgeizigen Engländer durchaus unüblich ist. Der Hintergrund: Der Weg von der Startposition bis zur ersten Kurve ist in Sotschi extrem lang, so dass man als Zweiter oder Dritter am Start durch den Windschatten beste Chancen hat, als Erster in die erste Kurve einzubiegen.

Harte Kämpfe am Start und nach dem Stopp

Diese Chancen rechnete sich auch Vettel aus. Und der Ferrari-Pilot legte einen brillanten Start hin, der ihn direkt neben Hamilton brachte. Dieser profitierte in der Folge allerdings erstens von dem direkten Windschatten von Bottas - Vettel musste daneben voll im Wind fahren - und zweitens von der Extra-Power seines Mercedes-Motors. Dadurch konnte er Vettel abschütteln und fast noch Bottas angreifen. Am Ende sortierten sich die drei in der Startreihenfolge ein. Diese änderte sich erst, als der Führende Bottas zu seinem Pflicht-Boxenstopp herein kam. Kurz darauf stoppte auch Vettel. Und dem Deutschen gelang eine Traum-Outlap, in der er extrem viel Zeit auf den immer noch auf seinem ersten Reifensatz fahrenden Hamilton gut machte. Als dieser dann endlich - eine Runde zu spät - seinen Stopp absolviert hatte, kam er direkt hinter Vettel wieder auf die Strecke. "Wie konnte das passieren?" fragte der amtierende Champion am Funk ungläubig. Da aber Vettel hinter dem immer noch führenden Bottas festhing, konnte Hamilton schnell Druck aufbauen. In der Folge lieferten sich die beiden einen beinharten Zweikampf, den Hamilton am Ende für sich entscheiden konnte.

Der gefürchtete Funkspruch

Nun lag der Brite im Sandwich zwischen Bottas und Vettel. Bottas konnte nicht schneller und Vettel machte Druck. Die Folge waren überhitzte Reifen von Hamilton. Im Team bekam man Angst, dass die Reifen nicht bis zum Ende halten würden und Hamilton viele Plätze verlieren könnte. Im Sinne der WM beorderte man Bottas per eindeutigem Funkspruch zurück. Dieser ließ seinen Teamkollegen dann auch anstandslos passieren. Damit hatte Hamilton freie Fahrt.

Mehr noch: Bottas, der es wie kein Zweiter beherrscht, gezielt langsam zu fahren, ohne sich selbst zu gefährden, hielt Vettel auf und sorgte so für Entspannung bei Hamilton. So weit, so gut. Derartiges Teamwork ist heutzutage normal und wird auch bei anderen Teams so praktiziert. Teamchef Toto Wolff erklärte die Notwendigkeit dieses Platzwechsels nach dem Rennen auch in aller Ausführlichkeit und wies immer wieder auf die Blasenbildung an Hamiltons Reifen hin. Dies wäre der einzige Grund für den Platztausch gewesen.

Fehlender Rücktausch sorgt für lange Gesichter

Nachdem Vettel den Kampf aufgegeben hatte, wäre es eigentlich an der Zeit gewesen, die Positionen wieder zurück zu tauschen. Schließlich war das Reifenproblem gelöst und Bottas der eigentlich führende Mann. Auch der Finne erwartete wohl einen Rücktausch, denn er fragte kurz vor Rennende per Funk: "Wie wollen wir dieses Rennen beenden?" Die klare Ansage vom Team: "Positionen halten!" Mittlerweile hatte sich Toto Wolff nämlich entschlossen, Hamilton die zusätzlichen sieben WM-Punkte zu spendieren und Bottas den ihm eigentlich zustehenden und lang ersehnten Sieg vorzuenthalten. Valtteris Miene bei der Siegerehrung sprach Bände und auch Hamilton schien sich absolut nicht wohl zu fühlen in seiner Haut. Er wollte Bottas auf dem Podium sogar seinen Siegerpokal überlassen. Zudem äußerte er, mit dem Gedanken gespielt zu haben, Bottas vor dem Zielstrich wieder vorbei zu lassen. Nun, am Ende war er sich dann wieder selbst der Nächste und sackte die volle Punktzahl ein.

Alles richtig gemacht - trotz Sympathieverlust

Hat Mercedes hier ungeschickt agiert und Bottas den Sieg gestohlen? Auf den ersten Blick mag es Racefans sauer aufstoßen, wenn solche Team-Spielchen gespielt werden. Am Ende des Tages zählt aber nur der WM-Titel. Und wenn Hamilton am Saisonende genau die sieben Punkte fehlen würden, wären Toto Wolff und seine Strategen die größten Deppen der Branche. Und das kann sich kein Rennstall, der viele Millionen in diesen Sport pumpt, leisten. Also war die Entscheidung pro Hamilton strategisch gesehen absolut die Richtige, auch wenn es das Team sicherlich Sympathien gekostet haben dürfte. Bleibt die Frage, wie Valtteri Bottas mit dieser weiteren, klaren Degradierung umgeht. Nach außen hin zeigt er Verständnis, aber wie es in dem stillen Finnen aussieht, kann man nur erahnen. Konfliktpotenzial ist vorhanden!

Lewis Hamilton 
Valtteri war heute ein fantastischer Gentleman. Ehrlich gesagt war das heute der seltsamste Tag, an den ich mich in meiner Formel 1-Karriere erinnern kann. Ich weiß, dass wir diese Situation und Diskussion schon einmal erlebt haben. Es hat sich schon immer unheimlich unangenehm angefühlt. Ich habe immer gesagt: "Ich möchte auf die richtige Art und Weise gewinnen." So war es schon immer für mich. Ich sagte: "Als Rennfahrer wollen wir immer gewinnen und wenn man uns sagt, dass wir nicht gewinnen dürfen, nimmt man uns die Luft zum Atmen." So ist das. Das würde ich niemandem wünschen und ich würde es niemals verlangen. Nie. Ich habe in unserem Meeting klargestellt: "Damit Du es weißt, ich bin nie zu Toto und den Jungs gegangen, so möchte ich nicht gewinnen." Das Team hat diese Entscheidung getroffen, als sie gesehen haben, dass meine Reifen Blasen geworfen haben und Vettel von hinten näherkam. Es gibt starke Stimmen im Team, die sagen: "Wir müssen gewinnen, nur darum geht es. Wir müssen beide Weltmeisterschaften gewinnen, egal wer vorne liegt." Schlussendlich glaube ich, dass es in diesem Moment vor allem wichtig ist, zuerst Valtteris Leistung anzuerkennen, weil er, wie ich schon gesagt habe, ein absoluter Gentleman ist. Es ist sehr seltsam, sich schlecht zu fühlen, aber wir müssen auch den Jungs in der Fabrik dankbar sein. Viele Leute arbeiten mit Volldampf, um sicherzustellen, dass wir so einen Doppelsieg einfahren können. Das Team hat an diesem Wochenende fantastische Arbeit abgeliefert. Wir müssen auch diesen Moment genießen, aber es ist definitiv einer der Siege auf meinem Konto, auf den ich am wenigsten stolz bin. 
 
Valtteri Bottas 
Das war ein harter Tag. Wir haben als Team ein gutes Ergebnis mit der maximalen Punktzahl eingefahren, aber für mich persönlich war es ein schwieriges Rennen. Obwohl ich die Situation schon verstehe. Wenn man sich in die Situation der Teamleitung versetzt, spielt es keine Rolle, ob Lewis oder ich gewinne - so lange wir mit einem Doppelsieg die maximale Punktzahl holen. Für den Rest des Jahres kämpft nur noch Lewis um die Weltmeisterschaft und nicht ich. Somit ist es für das Team immer besser, wenn Lewis gewinnt - so ist das nun einmal. Das ist für mich als Sportler und Mensch nicht optimal, aber es ist ein Fakt. Wir sind ein Team und ich bin bereit, mich für das Team einzusetzen. Heute habe ich das getan und das würde ich auch morgen wieder machen. So läuft es nun einmal, aber ich freue mich auch auf das nächste Jahr und eine neue Saison. Ich weiß, dass ich heute hätte gewinnen sollen und ich bei gleichen Voraussetzungen auch gewinnen hätte können. Für mich selbst weiß ich, dass ich an diesem Wochenende der Sieger war. Ich habe keinen Siegerpokal, aber das spielt keine Rolle. Abgehakt und weiter geht's. 
 
Toto Wolff 
Wir sind alle mit vollem Herzen Racer und wir wollen echtes Racing sehen, bei dem der Schnellste gewinnt. Aber wir sind auch vernünftige Leute. Wir besprechen Dinge am Vormittag und dann kommt es im Rennen alles ganz anders. Genau das ist heute passiert. Wir sollten nach einem Doppelsieg überglücklich sein und grundsätzlich sind wir das auch. Aber wir haben auch das Gefühl, dass es gegen Valtteri gelaufen ist. Er hätte heute gewinnen sollen und wir haben das geändert. Valtteri ist ein unheimlicher Teamplayer, aber heute war schlecht für ihn und schlecht für das Team. Wir haben darüber gesprochen, wer zuerst an die Box kommen sollte und haben dann zuerst Valtteri hereingeholt, weil das seinen Sieg absichern sollte. Bei Lewis war es eine Runde zu spät und wir haben die Position an Sebastian verloren. Das war der Auslöser für diese Situation, weil Lewis hinter Sebastian herauskam und ihn dann angreifen musste. Das rief die Blasen an seinen Reifen hervor und wir mussten ihn schützen, als Sebastian Lewis auf seinen beschädigten Reifen angriff. Lewis lag weit dahinter, aber als wir Valtteri gebeten haben, dass er in Kurve 13 die Positionen tauschen soll, hat er es sofort gemacht. So jemanden willst du im Team haben, weil du dich auf diese Jungs genauso verlassen musst wie sie sich auf uns verlassen. Das lässt es umso schlimmer erscheinen. Aber die harte Realität ist, dass man an solch einem Tag den Vorsprung in einer harten und teilweise sehr schwierigen Weltmeisterschaft um viel mehr Punkte ausbauen kann. Manchmal muss man diese Entscheidung treffen und genau das haben wir heute getan. Wir haben einen Doppelsieg eingefahren und jetzt 50 Punkte Vorsprung - das fühlt sich an einem ansonsten sehr schwierigen Tag gut an. 
 
James Allison 
Angesichts des gestrigen Abstands im Qualifying war das heute ein wahnsinnig hartes Rennen. Die Pace von Ferrari hat uns den gesamten ersten Stint über unter Druck gesetzt. In der Folge haben wir beim ersten Boxenstopp den Platz an Sebastian verloren. Lewis ersparte uns die Schamesröte durch sein wundervolles Überholmanöver und brachte damit alles wieder auf Kurs. Aber kurz darauf bekamen wir erneut Schwierigkeiten, als Lewis recht nah hinter Valtteri hergefahren ist und sich dabei seine Hinterreifen beschädigt hat. Zu diesem Zeitpunkt fürchteten wir, dass wir einen Platz an den heraneilenden Vettel verlieren könnten. Valtteri lag in Führung und seine Reifen funktionierten gut. Entsprechend trafen wir die sehr schwierige Entscheidung, Lewis an ihm vorbeigehen zu lassen, damit wir ein Auto mit guten Reifen hatten, um den Doppelsieg abzusichern. Diesen konnten wir einfahren, wenn wir bis ins Ziel gut auf unsere Reifen achteten. Genauso ist es am Ende auch eingetreten. Wir haben einen Doppelsieg erzielt, aber es war ein wahnsinnig schwieriger Tag für Valtteri. Er hat diese Enttäuschung wie ein Kämpfer weggesteckt, aber als ich neben ihm auf dem Podium gestanden habe, konnte ich in seinen Augen erkennen, dass es ihn sehr schmerzte. Valtteri ist ein fantastischer Teamkollege und ein echter Racer, der heute die Pace hatte, um das Rennen zu gewinnen und der noch viel bessere Tage erleben wird - und darauf freuen wir uns! 

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