Repräsentationswagen in der Geschichte der Daimler AG, Teil 5

Rückblick in der Geschichte des 125-Jahre bestehenden Automobilherstellers in acht Teilen – Teil 5: Mercedes-Benz Typ „Großer Mercedes“ (W 150), 1938 bis 1943

Repräsentationswagen in der Geschichte der Daimler AG, Teil 5 : Rückblick in der Geschichte des 125-Jahre bestehenden Automobilherstellers in acht Teilen – Teil 5: Mercedes-Benz Typ „Großer Mercedes“ (W 150),  1938 bis 1943
Erstellt am 23. August 2011

Die Entstehung des neuen „Großen Mercedes“ mit der internen Bezeichnung W 150 beginnt gegen Ende 1936 und ist zwei Umständen zuzuschreiben: Zum einen der verstärkten Nachfrage aus Industrie- und Regierungskreisen nach einem moderneren Spitzenfahrzeug, zum anderen die Erkenntnis, dass der „Große Mercedes“ bisheriger Bauart mit seinem konservativen Fahrwerk mit Starrachsen vorne und hinten sowie einem Chassis mit einer Bauart aus der Frühzeit des Automobils nicht mehr dem Standard der Daimler-Benz AG entsprechen. Verstärkend kommt seinerzeit hinzu, dass bereits das gesamte Personenwagen- und Rennwagen-Programm – mit Ausnahme des Typ Nürburg – auf Konstruktionen mit vorderer und hinterer Einzelradaufhängung umgestellt worden ist und die Marke Mercedes-Benz, beginnend 1931 mit dem Typ 170, Protagonist fortschrittlicher Personenwagen-Fahrwerke ist. Inzwischen tritt Daimler-Benz sogar international als Lizenzgeber für die fortschrittliche Vorderradaufhängung mit zwei Trapezlenkern und Schraubenfedern in Erscheinung. Selbst die in diesen Dingen eher zurückhaltende amerikanische Automobilindustrie setzt in der Zwischenzeit diese Vorderradaufhängung ein.

Es ist vor allem eine Herausforderung an den Konstruktionschef Max Wagner, für den neuen „Großen Mercedes“ ein zeitgemäßes Fahrwerk zu konzipieren. Dabei kommen ihm die Erfahrungen mit der Neukonstruktion der Rennwagen W 125 und W 154 zugute. Wie bei diesen nimmt er für den neuen „Großen Mercedes“ ein Chassis aus Ovalrohren als Längsträger, das an der Vorderachse ungleich lange Trapezlenker und Schraubenfedern sowie hinten eine Parallelradachse genannte De-Dion-Achse mit Schraubenfedern hat. Die Schubkräfte der Hinterachse werden aufgefangen durch V-förmig nach vorne laufende Träger, die am mittleren Querrohr drehbar gelagert sind.

Im Test der britischen Zeitschrift „The Motor“

Die außen liegenden Längsträger aus Ovalrohren sind vor der Hinterachse weit nach unten gebogen, um einen niedrigen Schwerpunkt zu erreichen. Verbunden sind die Längsträger mit sechs durchgesteckten und mit den Längsträgern verschweißten Querrohren. Diese dreh- und biegesteife Konstruktion führt in Verbindung mit den großen Federwegen zu einer ausgezeichneten Straßenlage, die für so große und schwere Luxuswagen außergewöhnlich ist. Als Beispiel sei aus dem einzigen zeitgenössischen Testbericht zitiert, der am 23. Mai 1939 in der britischen Zeitschrift „The Motor“ erscheint: „Normalerweise wird eine Limousine dieser Größe nicht in spektakulärer Fahrweise bewegt. Wir fuhren sie mit hohem Tempo auf kurvenreichen Straßen, und der generelle Standard von Handling und Straßenlage ist unzweifelhaft äußerst gut. Das Fahrzeug hält bewundernswert seinen Kurs in schnell gefahrenen Kurven, und die vollkommene

Steifigkeit des Ovalrohrchassis spiegelt sich in der Straßenlage wider. Obwohl keine Niveauregulierung verwendet wird, ermöglicht das Fahrwerk eine komfortable Fahrt in der Stadt mit gleichmäßigen Kurven, aber auch immens schnelles Fahren auf offener Straße, und das gesamte Fahrzeug hinterlässt den Eindruck beträchtlicher Stabilität.“ Aber nicht allein die Fahrgestellkonstruktion macht den Unterschied zum Vorgänger aus, es sind auch die größeren Dimensionen. Der Radstand wächst um 130 Millimeter, die Spurweite vorne um 100 Millimeter, hinten sogar um 150 Millimeter. So wird es für die Karosseriekonstrukteure unter Hermann Ahrens ein Leichtes, geräumigere Karosserien zu entwerfen, deren Länge um 400 Millimeter zunimmt und in der Länge genau 6 Meter beträgt. Mit der Größe wächst allerdings auch das Fahrzeuggewicht. Nennt der Katalog der Baureihe W 07 noch 2700 Kilogramm, so steigt das Gewicht bei der Baureihe W 150 ebenfalls laut Katalog auf 3400 Kilogramm bis 3600 Kilogramm. Und dabei bleibt es dann in manchen Fällen nicht. Für die Sonderschutz-Version als Sechssitzer müssen 4400 Kilogramm, als noch stärker gepanzerter Viersitzer 4550 Kilogramm Masse in Bewegung gesetzt werden. Für diese Gewichte wird auch die Motorleistung erhöht. In der Saugversion steigt die Motorleistung um 5 PS (3,7 kW) auf 155 PS (114 kW), mit eingeschaltetem Roots-Gebläse um 30 PS (22 kW) auf 230 PS (169 kW). Die Schäfte der Auslassventile sind zur besseren Kühlung mit Natriumsalz gefüllt.

Jetzt mit Viergang-Getriebe mit Overdrive

Auch das Dreigang-Getriebe des Vorgängers mit zuschaltbaren Schnellgängen überlebt beim Nachfolger nicht. Es wird durch ein Viergang-Getriebe mit einem als Overdrive ins Schnelle übersetzten fünften Gang abgelöst. Um bei gestiegener Motorleistung und deutlich höheren Gewichten nicht mit kürzeren Tankintervallen bestraft zu werden, steigt das Tankvolumen von 120 Liter auf 195 Liter. Für den bei seinem Erscheinen größten Repräsentationswagen weltweit gibt Daimler-Benz eine Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h an, die allerdings in den schwer gepanzerten Ausführungen mit schusssicheren Zwanzig-Kammer-Reifen drastisch auf 80 km/h eingebremst wird.

Herausragende Fahrleistungen

Zu den Fahrleistungen und der Höchstgeschwindigkeit der normalen Pullman-Limousine schreibt 1939 „The Motor“: „Mit weichem Gangwechsel, ohne die sonst zu Testzwecken notwendige sekundensparende Brutalität, konnte die Viertelmeile mit stehendem Start in 21 Sekunden gefahren werden. Vom Stillstand bis 50 mph [Meilen pro Stunde, 80 km/h] vergingen 12,2 Sekunden, und bis 60 mph [96 km/h] waren es 17 Sekunden, was auf den verfügbaren Leistungsstand hindeutet, ohne notwendigerweise die absoluten Höchstresultate anzuzeigen, die möglich wären. Das Zuschalten des Kompressors über eine Viertelmeile erhöhte die Geschwindigkeit von 75 mph [120 km/h] auf 87 mph [139 km/h], was seine Bedeutung für hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten zeigt. Gemessen über eine Viertelmeile erreichte das Fahrzeug 100 mph [160 km/h]. Tatsächlich beschleunigte es ziemlich mühelos und mit vier Personen an Bord auf der Railway Straight in Brooklands. Der Tachometer arbeitet nahezu genau, etwas langsamer nachziehend im unteren Bereich, und die letzte Anzeige weist auf eine Höchstgeschwindigkeit um 108 mph [173 km/h] hin, eine wirklich eindrucksvolle Geschwindigkeit für eine achtsitzige Limousine, die 3,2 [englische] Tonnen wiegt [umgerechnet 3 Tonnen].“

Unbestritten leidet die Karriere des „Großen Mercedes“ (W 150) unter dem kurz nach Produktionsbeginn einsetzenden Zweiten Weltkrieg. Das zeigen auch die produzierten Karosserieausführungen, bei denen die von Regierungsseite bevorzugten Offenen Tourenwagen dominieren, ganz im Gegensatz zum Vorgänger, bei dem die zivileren Karosserien wie Cabriolets und Pullman-Limousinen überwogen hatten.

„Sindelfinger Karosserie“

Die Karosserien für den „Großen Mercedes“ (W 150) werden ausschließlich im Sindelfinger Sonderwagenbau hergestellt, der auch exklusive Wünsche erfüllt. Die Bezeichnung „Sindelfinger Karosserie“ wird zu einem Gütesiegel des Fahrzeugbaus. Bekanntestes Beispiel ist das Cabriolet B, welches als Unikat für den persischen Thronfolger gebaut wird und sich als Preziose heute im Besitz eines amerikanischen Sammlers befindet.

Speziell gepanzerte Fahrzeuge („Aktion P“)

Weitere Besonderheiten sind die unterschiedlichen Sonderschutz-Ausführungen, die es in den bekannten Karosserieformen gibt, sowohl offen wie geschlossen. Fahrzeuge mit einer gepanzerten Windschutzscheibe erkennt man an zusätzlichen außen liegenden Schlitzen, die an die Heizung angeschlossen sind und für beschlagfreie Windschutzscheiben sorgen. Im Zuge einer während des Kriegs auf Regierungsanordnung durchgeführten Sonderaktion für speziell gepanzerte Fahrzeuge („Aktion P“) werden zehn viertürige und vierfenstrige Limousinen gebaut, die, wie bereits erwähnt, aufgrund ihrer aufwendigen Schutzmaßnahmen noch schwerer sind als die Sonderschutz-Pullman-Limousinen. Bei ihnen bestehen die Fenster aus 40 Millimeter starkem Mehrschichtenglas. Der Boden ist mit 8,8 Millimeter starken Platten, die restliche Karosserie einschließlich des Dachs mit 3,3 Millimeter starken Platten aus Spezial-stahl armiert. Einer der mit diesem Umbau beschäftigten Konstrukteure ist Friedrich Geiger, der in den 1950er-Jahren der erste Leiter des Designs bei Daimler-Benz wird. Äußerlich lassen sich nur die ganz frühen Fahrzeuge an ihrer doppelreihigen Stoßstange und dem Fehlen einer Kofferraumklappe von den späteren Modellen unterscheiden. Diese erkennt man an den gummibelegten einreihigen Stoßstangen mit meistens zwei verchromten Hörnern und einer Kofferraumklappe. Der Übergang der vorderen Kotflügel in die Trittbretter ist uneinheitlich; mal ist er fließend gestaltet, sehr oft ist der Kotflügel gegenüber dem Trittbrett aber auch abgesetzt.

Sonderschutz-Wagen

Bei den zum Schluss gebauten Sonderschutz-Wagen sind die Trittbretter weggelassen beziehungsweise unter einer Verkleidung verborgen. So soll ein Aufspringen von unerwünschten Mitfahrern auf die Trittbretter vermieden werden. Besonders breite verchromte Fenstereinfassungen sind, wie Jahrzehnte später auch beim Typ 600, ein Indiz für besonders dicke Scheiben eines Sonderschutzwagens. Die Türen werden elektromagnetisch verschlossen und die Ersatzräder als Panzerschild benutzt. Um einen gewissen Ausgleich für die Gewichtserhöhung zu schaffen, werden die Kotflügel aus Leichtmetall gefertigt.

„The Super Mercedes“

Der neue „Große Mercedes“, der übrigens von Daimler-Benz für den angelsächsischen Sprachgebrauch immer als „The Super Mercedes“ bezeichnet wird, erfreut sich bei seinem Erscheinen sofort eines regen Kundeninteresses bei Behörden und auch zivilen Kunden. Durch den Kriegsbeginn am 1. September 1939 werden allerdings nur noch wenige Fahrzeuge an zivile Besteller ausgeliefert, da Behördenaufträge bevorzugt behandelt werden. Nach dem Krieg dient der „Große Mercedes“ als Staatskarosse unter anderem in den königlichen Fuhrparks von Schweden und Norwegen und wird damals auch bei Staatsbesuchen eingesetzt, so wie beim Besuch Winston Churchills beim norwegischen König Haakon im Mai 1948 in Oslo oder beim Besuch der Königin Elisabeth von England mit Prinz Philipp im Jahr 1955.

Der Katalog aus dem Jahr 1939 zeigt die Karosserie-Ausführungen Pullman-Limousine, Cabriolet D, Cabriolet F und Offener Tourenwagen. Die 88 zwischen 1938 und 1943 gebauten „Großen Mercedes“ (W 150) verteilen sich auf folgende Karosserien:



1 Chassis (Internationale Auto- und Motorrad-Ausstellung 1938, Berlin)

1 Cabriolet B

5 Cabriolet D

7 Cabriolet F

46 Offene Tourenwagen, teilweise gepanzert

10 Limousinen, 4 Türen, 4 Fenster, gepanzert

18 Pullman-Limousinen, 4 Türen, 6 Fenster, teilweise gepanzert

Preise des „Großen Mercedes“ (W 150) im Jahr 1939



Fahrgestell 30.000 RM

Pullman-Limousine 44.000 RM

Cabriolet D 46.000 RM

Cabriolet F 47.500 RM

Für die Baureihe W 150 wird ein Nachfolger entwickelt. Bereits 1938 ist die Baureihe W 148 in die Entwicklungsplanung integriert, damals allerdings noch als Ersatz für den Typ 500 N (W 08), doch im Laufe der Entwicklungszeit wächst sie immer mehr in die Nachfolgeposition für die Baureihe W 150 hinein. Chefingenieur Fritz Nallinger hält das für sinnvoller, wie er beispielsweise im April 1941 äußert.

W148 = Downsizing in den 30er Jahren

Die Baureihe W 148 soll als modernerer Repräsentationswagen auf die Räder gestellt werden, der dem „Großen Mercedes“ der Baureihe W 150 in nichts nachsteht. Modernität bedeutet in jenen Jahren auch schon „Downsizing“, ohne auf Raum- und Komfortmerkmale verzichten zu müssen. Unterstützt werden diese Bemühungen durch den 170 PS (125 kW) starken und kompakten V12-Motor M 148, der wesentlich kürzer ist als der bisher im W 150 eingesetzte Reihenachtzylindermotor M 150 mit seinen großen Außenabmessungen, aber auch als der Reihenachtzylindermotor M 08 des Typ 500 N. Motorenkonstrukteur Wilhelm Syring hatte eine findige Konstruktion angewendet, um das Triebwerk kompakt zu halten, die auch Maybach bei seinen großen V12-Motoren eingesetzt hatte: Die Hubzapfen der Kurbelwelle, die sich neben den im Block angebrachten Hauptlagern befinden, haben nur eine Kurbelwange. Die andere ist in das Hauptlager integriert. Dadurch wird der Motor sehr kurz. Dieser V12-Motor wird für damalige Verhältnisse weit vorn über der Vorderachse platziert und so genügend Raum für die Insassen bei gleichzeitig reduzierten Außenabmessungen geschaffen.

Außer dem Raumvorteil und dem moderneren technischen Konzept mit halbkugeligen Brennräumen bietet der M 148 zudem ökonomische Vorteile. Er kann wesentlich günstiger hergestellt werden als der große Reihenachtzylindermotor M 150, da er auch als Stationärmotor verwendet wird, dafür in relativ großen Stückzahlen produziert wird und zunehmend den Motor M 08 als Stromgeneratoren-Antrieb ersetzt. Vom M 148 und dem daraus abgeleiteten 6,5 Liter großen M 173, der ausschließlich im Stationärbetrieb zum Einsatz kommt, wird bis 1945 die Zahl von 3420 Stück gebaut.

Trotz der kompakteren Abmessungen ist die Baureihe W 148 kein Leichtgewicht

Obwohl der Radstand der Baureihe W 148 gegenüber der Baureihe W 150 um 100 Millimeter kürzer und die Gesamtlänge sogar 170 Millimeter kürzer gerät, ist sie immer noch eine repräsentative Erscheinung. In ihr hätte man denselben Raumkomfort genossen wie im legendären „Großen Mercedes“. Darüber hinaus glänzt sie mit dem unübertroffenen Ansehen eines V12-Motors, dessen Laufkultur ein Reihen-Achtzylindermotor nie erreichen kann. Trotz der kompakteren Abmessungen ist die Baureihe W 148 mit einer Masse von 3210 Kilogramm kein Leichtgewicht, sie unterbietet aber den bisherigen „Großen Mercedes“ immerhin um fast 400 Kilogramm. Allerdings ist man mit fortschreitender Entwicklung gezwungen, den Gewichtsvorteil aufzugeben. Die zunehmend von Regierungsseite geforderten Sonderschutz-Ausführungen hätten auch die Baureihe W 148 schwerer werden lassen als ursprünglich geplant. Dies hätte dann wieder eines stärkeren Motors bedurft, was allerdings die leichteste Übung für die routinierten Motorentechniker aus Untertürkheim gewesen wäre. In Gestalt des Motors M 157 steht bereits die Kompressorversion des M 148 zur Verfügung, die ohne Aufladung 155 PS (114 kW) leistet, mit Kompressorunterstützung 240 PS (176 kW).

Wo sind die W148-Modelle?

Die Baureihe W 148 ist mehr als nur ein Versuchsprojekt. Bis 1942 wird im Regierungsauftrag an zwei offenen Tourenwagen und an zwei Cabriolet B gearbeitet. Im Versuch sind fünf Versuchswagen nachweisbar, die mit unterschiedlichen Karosserien als Pullman-Limousinen und als Cabriolet F karossiert sind. Durch den Verlauf des Krieges werden die Arbeiten aber im Jahr 1942 eingestellt. Eine Pullman-Limousine hat den Krieg in einem Ausweichlager im Schwarzwald überlebt. Was allerdings danach mit dem interessanten Fahrzeug geschehen ist, lässt sich heute nicht mehr genau nachvollziehen. Vermutlich ist es verschrottet worden. Die anderen Wagen hat wahrscheinlich der Bombenhagel der Kriegsjahre in Untertürkheim und Sindelfingen zerstört.

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