1936 Mercedes-Benz 170V - Eine Auto-Biographie - Teil 2

Wenn ein Stern erzählt…: Abenteuer und Kapriolen

1936 Mercedes-Benz 170V - Eine Auto-Biographie - Teil 2: Wenn ein Stern erzählt…: Abenteuer und Kapriolen
Erstellt am 23. Februar 2012

Dies ist der zweite Teil der Auto-Biografie eines Mercedes-Benz 170 V Roadster von 1936. Wie im ersten Teil erzählt hier das Auto die Geschichte. Der Mercedes berichtet von der Liebe auf den ersten Blick eines Luxemburgers Guy, seinen eigenen Schwächen bzw. Schwachstellen und dem Tag, an dem sein zweites Leben begann.

Der 27. November 2001 war der Abholtag. Der neue Besitzer hatte meiner Ankunft ungeduldig entgegen gefiebert und die Zeit dazu genutzt, um die Garage auf den großen Tag vorzubereiten: Neu gestrichen erstrahlte sie in makellosem Weiß, und originale Werbezeichnungen von mir und meinen Artgenossen zierten die Wände, damit ich mich sofort wie zu Hause fühlen sollte. Da Ende November die Saison eigentlich schon zu Ende war, boten sich uns nur wenige Gelegenheiten, um die Gegend zu erkunden, bevor mich der lange Winterschlaf überfiel.

Ein neues Mitglied in einem 107er Club

Währenddessen hatte mein Herr sich um eine Mitgliedschaft für mich im Mercedes-Club bemüht. Ohne zu wissen, dass es sich hier um einen geborenen 107er SL-Club handelte, hatte ich dort für Aufregung gesorgt, denn im Vorstand wurde meinetwegen der Entschluss gefasst, dass solche Fremdlinge wie ich trotzdem Mitglied im erlesenen Club werden dürften. In der Zwischenzeit bin ich längst nicht mehr das einzige Fremdmodell im Club - und dies hat sich herumgesprochen, sogar bis nach Stuttgart ins Stammhaus, mit dessen Segen der Club kürzlich seine Statuten und den Namen geändert hat. Was ich da alles angerichtet habe!

On the Road again

Die ersten Clubausfahrten waren für uns alle eine Herausforderung. Meine neuen 107er-Freunde, die durchwegs 40-50 Jahre jünger und doppelt so flink wie ich sind, staunten nicht schlecht mit ihren rechteckigen Augen, als ich zum ersten Mal dabei war. Ob es aus spontaner Freundschaft oder aus Mitleid war, kann ich nicht beurteilen, jedenfalls aber haben sie mich beschützend in ihre Mitte genommen und ihr Tempo an meines angepasst. Ich meinerseits habe mein Bestes gegeben, um sie nicht unnötig aufzuhalten. Dabei bin ich fast über mich selbst herausgewachsen und habe sogar (zwar mit gebührendem Anlauf) auf der Autobahn einen Lastwagen mit gut 100 km/h überholt, um meinen neuen Freunden folgen zu können.

Über den Durst getrunken – und liegengeblieben!

Wir haben zusammen schöne Ausflüge gemacht, neue Gegenden erkundet, Städte und Schlösser besucht und an Ausstellungen teilgenommen, aber auch Rückschläge in Kauf nehmen müssen. Bei einer meiner ersten Fahrten war ich so übermütig, dass ich ohne es zu wollen und zu merken, mit unmäßigem Durst auf einmal meinen Benzintank leer getrunken hatte, obwohl wir ohne Mühe fast die doppelte Strecke hätten zurücklegen können. Es war nicht verwunderlich, dass wir auf weiter Flur plötzlich auf dem Trockenen saßen, und mein Besitzer einen Freund mitsamt Benzinkanister herbei zaubern musste.

Da ich ihm etwas später diesen Streich ein zweites Mal gespielt hatte, hatte er mich kurzerhand zu einem anerkannten Autodoktor geschleppt, der mir definitiv diese Faxen vertrieben hat. Als Erinnerung an diese Behandlung habe ich seither unter anderem eine neue Zylinderkopfdichtung. Es sollte beileibe aber nicht das einzige Mal bleiben, dass ich seiner Hilfe bedurfte!

High Society

Mein Herr hat mich auch gelegentlich zu anderen Veranstaltungen mitgenommen, und so lernte ich nach und nach andere Automarken kennen. Ich erinnere mich da vor allem an meine erste Sternfahrt zugunsten der Krebsforschung, wo ich sogar in der Kolonne der Prestigefahrzeuge, nicht mit Stern, sondern mit Dreizack oder steigenden Hengst im Firmenzeichen, mitfahren durfte. So viele anerkennende Zurufe der Zuschauer, die die Straßen säumten, hatte ich lange nicht mehr erlebt. Eine große Ehre widerfuhr mir, als der über die Grenzen Europas hinaus bekannte luxemburgische Maler Brandy, selbst ein leidenschaftlicher Besitzer und Fahrer verschiedener Oldtimer, mich auf einem beeindruckenden Ölgemälde porträtierte.

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Kleinere Probleme hier und da

Eine schöne Ausfahrt, auf die mein Besitzer und ich uns freuten, war schon beendet, bevor sie angefangen hatte: Mein neues Zuhause war kaum außer Sichtweite, da habe ich mir das Kupplungsgestänge gebrochen und das Pedal klapperte nur noch leblos auf dem Fahrzeugboden auf und ab. Da blieb uns nur noch eins übrig: Der „Krankenwagen“ wurde gerufen, ich wurde huckepack genommen und wieder zum Autodoktor geschafft, der mich dann mit einer ambulanten Schweißbrenner-Behandlung wieder heilte.

Es sah so aus, dass wir uns auf Wechselbäder von Erfolgserlebnissen und Enttäuschungen einzustellen hatten. In der Tat kam es auch so, wie zum Beispiel an dem Tag, wo eine Strompanne mich wieder einmal außer Gefecht gesetzt hatte. Die Isolierung meiner Stromadern war müde und brüchig geworden, so dass Spannung sich auf Irrwege begab, wo sie nicht hingehörte. Kurze Zeit später konnte ich mich an meinem nagelneuen Kabelbaum mit schöner Textilummantelung erfreuen.

Probesitzen mit Jutta Benz, der Urenkelin von Karl Benz

Mein schönstes Abenteuer hatte ich am 2. April 2004, und dabei habe ich mich nicht einmal bewegen müssen. An diesem Tag fand in Diekirch die Einweihung des neu geschaffenen Automobilmuseums statt, und ich war eingeladen worden, daran teilzunehmen. Für mich war es eine große Freude, bei dieser Gelegenheit einige Oldtimer des Mercedes-Benz Museums und verschiedene Herrschaften des Mercedes Clubmanagements aus Stuttgart kennen zu lernen. Besonders aber hat mich geehrt, dass Frau Jutta Benz, die Urenkelin von Karl Benz als Vertreterin der Erfinderfamilie in mir Probe gesessen hat.

Hochs und Tiefs

Und das Wechselbad der Gefühle ging weiter, Hoch - Tief - Hoch - Tief. Es war wieder einmal ein Tief an der Reihe: Eine große Luxemburg-Rundfahrt führte mich an einem herrlichen Sonnentag in einer langen Oldie-Kolonne zu den Öslinger Höhenzügen. Alles war wie im Bilderbuch und ich fieberte dem Höhepunkt der Tour entgegen: Der Ankunft am höchstgelegenen Dorf des Tages. Ich fieberte im wahrsten Sinne des Wortes, und eine Zeit lang schon vor der Ankunft war die Nadel meines Fernthermometers im roten Bereich und wich nicht mehr vom Anschlag. Mit einem beeindruckenden Husten durch das Ventil und Auswürgen von kochender Kühlflüssigkeit entledigte ich mich des Überdrucks. Als Belohnung für dieses Schauspiel bekam ich ein neues Kühlernetz.

Die nächste Ausfahrt...

Die internationale Rallye durch das Dreiländereck Saarland-Lothringen-Luxemburg ist immer eine besondere Tour für die Teilnehmer. Ich hatte mit meinem Besitzer beschlossen, ihnen einen Besuch abzustatten, uns in die Kolonne zu schmuggeln und einen Teil der Strecke mit ihnen zu fahren. Es sollte ein schöner Tag werden - mit Betonung auf „sollte“. Schon bei der Anfahrt über eine kilometerlange sanfte Steigung von Luxemburg in östlicher Richtung hatte ich vor lauter Aufregung Aussetzer, die mich fast unmerklich bremsten und derer ich mir erst im Nachhinein bewusst wurde. Bei der Fahrt in der Kolonne in umgekehrter Richtung kam es nach einem der Aussetzer zu keinem „Einsetzer“ mehr, und ich musste im Leerlauf so lange weiterlaufen, bis ich mich an einen geeigneten Platz an den Straßenrand stellen konnte.

Die Besorgnis der folgenden Teilnehmer beschwichtigte ich mit der Notlüge, an dieser Stelle könnte ich sie besser im Vorbeifahren bewundern. Wie von Geisterhand herbeigezaubert, hielt plötzlich, wohl nichts Gutes ahnend, mein schon mehrmals hilfsbereiter Autodoktor hinter mir. Seine Diagnose war nicht gerade ermunternd: Mein Vergaser war zum Versager geworden! Eine Notoperation am Straßenrand, die er nur 2 Km weiter noch einmal vornehmen musste, sollte mich wieder flott machen - tat es aber nicht. Die Rückreise erfolgte in gewohnter Weise dann wieder einmal huckepack auf dem Notfallwagen. Eine dritte Operation brachte schließlich am folgenden Tag anlässlich eines Hausbesuches den gewünschten Erfolg.

„So kann das nicht weitergehen!“ dachte ich in völligem Einklang mit meinem Besitzer, denn außer diesen akuten Störungen schwächelte mein Motorherz und das Pochen seiner Zylinder war unzufrieden stellend. Außerdem litt ich seit langem an Gelenkverschleiß und chronischer Inkontinenz an den verschiedensten Stellen. Wir beschlossen, mich einer grundlegenden Kur zu unterziehen. Es sollte zu meinem runden 70. Geburtstag ein richtiges Geschenk werden, und die besten „Ärzte“ sollten für mich herangezogen werden!

Früh morgens schon am 23. Oktober des Jahres 2006 war ein „Rettungswagen“ in Stuttgart gestartet, um mich abzuholen. In Begleitung eines nagelneuen SLR-Mc Laren wurde ich im Spezialtransporter des Mercedes-Classic-Centers nach Fellbach gebracht.



Ob ich nach der Kur wohl so flink wie der SLR sein werde? … Dieses Abenteuer erzähle ich Euch im dritten Kapitel meiner Auto-Biographie.



Text: Friedrich W.Thüner, Guy Muller, V170

Fotos: Friedrich W.Thüner, Guy Muller



PS: Teil 1 finden Sie hier!

Mercedes-Fans Facts

1936 Mercedes Benz 170 V Sport-Roadster (W 136)



Antrieb: Reihenvierzylinder, 1697 ccm, 38 PS bei 3400 U /min, Viergang-Schaltgetriebe, Hinterradantrieb

Räder: Stahl-Tiefbettfelgen, 3,25 D x 16 mit Diagonalreifen 5,25-16

Fahrwerk: Vorne obere und untere, quer verlaufende Blattfeder, hinten Pendelachse mit Schraubenfedern , Trommelbremsen vorn und hinten

Sonstiges: Ganzstahlkarosserie auf x-förmigem Ovalrohr-Rahmen, Innenraum: Serie

22 Bilder Fotostrecke | 1936 Mercedes-Benz 170V - Eine Auto-Biographie - Teil 2: Mercedes-Benz W136 - Wenn ein Stern erzählt… #01 #02

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