Sicherheit bei Mercedes-Benz: Und es hat boom gemacht

Vor genau 50 Jahren führte Mercedes-Benz den ersten Crashtest durch

Sicherheit bei Mercedes-Benz: Und es hat boom gemacht: Vor genau 50 Jahren führte Mercedes-Benz den ersten Crashtest durch
Erstellt am 23. September 2009

Wenn es einen Aspekt gibt, der fast schon automatisch mit der Marke Mercedes-Benz verknüpft wird, dann ist es die Sicherheit. Aber warum haben die Autos mit dem Stern einen so hervorragenden Ruf, was ihr Crash-Verhalten angeht? Die Antwort auf diese Frage reicht zurück bis in den September 1959, denn genau vor 50 Jahren fand der erste Crashtest in der Geschichte von Mercedes-Benz statt.

Härter bedeutet nicht sicherer

In einem Punkt sind sich die Fahrzeugbauer der 50-iger Jahre einig: Je höher die Karosseriesteifigkeit eines Autos ist, desto sicherer ist es bei einem Frontalaufprall. Diese Erkenntnis wird von Mercedes durch die Crashversuche ab 1959 im wahrsten Sinne des Wortes zerstört. Sie zeigen nämlich, dass eine harte Karosserie zwar relativ gut aus einem Unfall hervorgeht, dass sie dabei jedoch enorme Kräfte an die Insassen abgibt. Drastisch ausgedrückt: Auto OK, Fahrer tot. Die optimale Lösung in Sachen Unfallsicherheit muss also eine andere sein.

„Mr. Crash“ – Béla Barényi

1939 ist ein entscheidendes Datum für die Sicherheit von Mercedes-Benz-Automobilen. Denn in diesem Jahr kommt der Ingenieur Béla Barényi nach Stuttgart. Er wir im Laufe seiner Karriere über 2500 patentierte Erfindungen für Mercedes machen, darunter so bahnbrechende Innovationen, wie die Sicherheitskarosserie mit Knautschzonen an Front und Heck, die in der Baureihe W 111 debütiert, oder die Sicherheitslenkung, mit der die Baureihe W 123 ab 1976 vom Band läuft. Die Sicherheitskarosserie ist es dann auch, die den Unfallschutz revolutioniert: Die gezielte Verformung ihrer Knautschzonen bewahrt die Insassen vor einem Großteil der kinetischen Aufprallenergie und vermindert damit Verletzungen.

Mit dem Holzkopf aufs Armaturenbrett

Die 1951 patentierte Sicherheitskarosserie ist sicherlich ein zentraler, aber nicht der einzige Sicherheitsfortschritt „made by Mercedes“. Barényi und sein Team übertragen ihr Sicherheitsdenken auch auf Details wie Türschlösser, Polsterungen im Innenraum, Windschutzscheiben aus Sicherheitsglas und Sicherheitsgurte. Für die Optimierung der Armaturenbrettpolsterung modifiziert man beispielsweise ein Prüfverfahren aus der Glasindustrie: Eine rund fünf Kilogramm schwere Holzkugel, die einen menschlichen Kopf simuliert, prallt durch die Kraft einer Feder auf das zu untersuchende Bauteil. Ein Messschreiber registriert die Verzögerung des Kunstkopfes. Als besonders gefährlich erweisen sich die in der automobilen Oberklasse obligatorischen Holzverkleidungen – sie neigen zum Splittern. Mercedes begegnet diesem Problem mit einem mehrschichtigen Verbundmaterial, bei dem Aluminiumeinlagen das Holz am Splittern hindern.

Oskar fährt Schlitten

Es ist der 10. September 1959, als sich auf dem Mercedes-Werksgelände in Sindelfingen ein Versuchsschlitten in Bewegung setzt. Er rollt auf Schienen und wird von Stahlfedern in Richtung einer massiven Barriere beschleunigt. An Bord befindet sich Oskar – ein Dummy, den die Daimler-Benz Ingenieure in den USA eingekauft haben. Anfangs ist Oskar stets alleine an Bord. Doch dann bekommt er Beifahrer. Die sind allerdings nur im Nebenberuf Crashtest-Dummys, denn eigentlich haben sie als Sandsäcke oder Schaufensterpuppen ganz andere Aufgaben. Oskar selbst ist offenbar ein harter Hund: Er überlebt nicht nur den Premieren-Crash, sondern noch viele weitere Zusammenstöße, bis er nach rund 30 Jahren im Dienste der Sicherheit seinen wohlverdienten Ruhestand antritt.


Inspirationen aus den USA

Dass Oskar, der erste Crashtest-Dummy von Mercedes-Benz, aus Amerika stammt, ist kein Zufall. Tatsächlich sind es vor allem US-Hersteller, die in den 50er-Jahren Unfallversuche als neues Instrument zur Fahrzeugentwicklung nutzen. Also besuchen die Mercedes-Männer Karl Wilfert, Rudolf Uhlenhaut und Fritz Nallinger 1955 das Unfallversuchsgelände von Ford in Dearborn. Sie nehmen zahlreiche Anregungen für die eigene Unfallforschung mit nach Deutschland – auch was die Kommunikation des Themas angeht. Denn anders als Mercedes wirbt Ford ganz offen mit der firmeneigenen Unfallforschung. Wilfert, Uhlenhaut und Nallinger halten in dieser Hinsicht auch bei Mercedes ein Umdenken für angebracht. Die Konsequenz: Bereits zum Versuchstag am 11. April 1960 lädt Daimler-Benz die Presse ein, um die neuen Verfahren zur Sicherheitsforschung öffentlich zu präsentieren.

Überschläge und Fehlschläge

Schon früh untersucht Mercedes auch das Verhalten eines Wagens bei einem Überschlag. Doch wie bringt man den Wagen dazu sich zu überschlagen? Die Ingenieure entwickeln dafür eine „Korkenzieher-Rampe“ auf die der Wagen auffährt, dabei in eine Rotation um die Längsachse versetzt wird und schließlich auf dem Dach landet. Die nötige Schlepptechnik zur Beschleunigung der Versuchsfahrzeuge borgen sich die Ingenieure bei den Segelfliegern der TH Stuttgart, die die Anlage zum Start von Flugzeugen einsetzen. Doch ideal ist dieser Versuchsaufbau nicht: Manchmal rollt das Auto schlicht an der Rampe vorbei und landet in einem Bach namens Schwippe, der sich direkt neben der Testbahn auf dem Werksgelände befindet.

Zur letzten Fahrt mit der Heißwasserrakete

Für eine zuverlässigere Beschleunigung der Wagen Richtung Aufprall oder Überschlag sorgt ab 1962 die von Ernst Fiala konstruierte Heißwasserrakete. Sie befindet sich auf einem einachsigen Anhänger, der hinter dem Versuchswagen rollt. In ihrem Inneren wird Wasser bis auf etwa 260 °C erhitzt, der Druck des entstehenden Wasserdampfes entweicht über ein schnell öffnendes Ventil und eine Ausströmdüse. Das Ganze beschleunigt das Gespann auf mehr als 100 Stundenkilometer, eine Eisenbahnschiene sorgt dabei für eine sichere Spurführung. Gleichzeitig wird auch die Teststrecke selbst optimiert: Sie erhält als Basis eine ebene Stahlbetonplatte, ein Fangzaun verhindert, das weitere Mercedes ungewollt in der Schwippe landen. 1964 wird die Strecke schließlich auf 90 Meter verlängert, um auch schwere Personenwagen wie den Typ 600 crashen zu können.

Ein realer Crash ist bis heute unverzichtbar

Natürlich hat die Unfallforschung – gerade bei Mercedes-Benz – in den letzten 50 Jahren enorme Fortschritte gemacht. So wandelte sich der Frontalaufprall auf ein starres Hindernis zum Offset-Crash auf eine deformierbare Barriere, was ein realistischeres Unfallszenario abbildet. Auch digitale Crashberechnungen, die erstmals bei der Entwicklung der Baureihe W 124 zum Einsatz kamen, sind heute eine Selbstverständlichkeit. Hinzu kommt die so genannte kontinuierliche Unfallbeobachtung, bei der Fahrzeuge nach realen Verkehrsunfällen untersucht werden. Aber auch der „klassische“ Crashtest unter kontrollierten Bedingungen, wie ihn Mercedes 1959 einführte, ist bis heute, wenn auch in stark optimierter Form, ein unverzichtbares Instrument zur Erhöhung der passiven Sicherheit im Automobilbau.

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