Die besondere Mercedes S-Klasse: 450 SEL 6.9

Noch Mercedes Youngtimer? Der Mercedes-Benz 450 SEL 6.9 feiert seinen 35. Geburtstag -

Die besondere Mercedes S-Klasse: 450 SEL 6.9: Noch Mercedes Youngtimer? Der Mercedes-Benz 450 SEL 6.9 feiert seinen 35. Geburtstag -
Erstellt am 19. April 2010

6.9 – zwei simple Zahlen mit einem nicht weniger simplen Punkt in der Mitte. Das riecht für Menschen im Computerzeitalter schwer nach der neuesten Version eines Programms zur Steuererklärung. Auch auf „normale“ Automobilisten wirkt diese Zahlenfolge nicht gerade elektrisierend. Könnte sich ja schlicht und ergreifend um den Durchschnittsverbrauch einer aktuellen Mittelklasse-Limousine handeln. Für die Fans klassischen Blechs, und ganz besonders für Fans von Mercedes-Oldtimern, bedeutet 6.9 aber viel mehr. 6.9 ist der Olymp, ist die zur Erde herabgestiegene, motorische Allmacht in Form des Mercedes-Benz 450 SEL 6.9. Vor exakt 35 Jahren rollte dieses Prachtstück erstmals auf die Straße.

Panik im Porsche, Teil 1

Die folgende Geschichte beruht zugegebener Maßen nicht auf einem Tatsachenbericht. Doch man darf mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass sie so oder ähnlich passiert ist. Also, es war einmal … ein Sommertag im Jahre 1975. Friedel F. fährt mit seinem neuen Porsche 911 über die A3. Die Bahn ist frei, Friedel hat Spaß und drückt das Gaspedal seines Sportwagens weiter durch. 160, 170, 180. Alle Mitbenutzer der A3, es handelt sich zumeist um VW Käfer und Opel Kadett, scheinen zu parken. Friedel strahlt.

Aus dem Vollen schöpfen

Für Mercedes wäre es kein Problem gewesen, den 450 SEL 6.9 deutlich früher zu präsentieren. Schließlich laufen seine schwächer motorisierten Brüder 1975 bereits seit rund eineinhalb Jahren vom Band. Doch 1970 ist das Jahr der Ölkrise. Die Menschen erkennen plötzlich, dass Öl und Benzin nicht ewig und uneingeschränkt zur Verfügung stehen werden. Entsprechend heftig ist der Schock. In diese Stimmung hinein einen Wagen zu präsentieren, der – vorsichtig ausgedrückt – kein Kostverächter ist, wäre (modell)politischer Selbstmord gewesen. Also warten die Mercedes-Strategen ab, bis ein passenderer Zeitpunkt kommt. Im Mai 1975 ist es soweit.

Panik im Porsche, Teil 2

Friedel guckt in den Rückspiegel. Friedel guckt noch mal in den Rückspiegel. Friedel strahlt nicht mehr. Der Grund dafür wird in seinem Rückspiegel gerade im Zeitraffertempo größer. Doch Friedel fängt sich wieder. Sein geschultes Auge hat den Verfolger als Mercedes Oberklasse-Limousine erkannt. Also greift er zum bewährten Gegenmittel: Mehr Gas. 190, 200, 210. Das sollte genügen, um den Herrn Bankdirektor in seine Schranken zu weisen.

Viele Pferde und ein Bären-Drehmoment

Seinen fulminanten Motor erbt der 450 SEL 6.9 vom Typ 600 (W 100). Allerdings handelt es sich um eine stark modifizierte Weiterentwicklung. Der V8 bekommt rund 2,4 Liter mehr Hubraum, eine neue Motorsteuerung und wird auf Trockensumpfschmierung umgebaut. Das Ergebnis dieser Leistungskur sind 286 PS, die bei 4250 U/min anliegen. Bereits 1250 U/min früher entwickelt der V8 sein maximales Drehmoment von 560 Nm. Es ist nicht weiter überraschend, dass dieser Motor sich vom Gewicht der Limousine – immerhin rund 1800 kg – wenig bis gar nicht beeindrucken lässt. Er schiebt den 450 SEL in 7,4 Sekunden auf Tempo 100 und anschließend auf eine Höchstgeschwindigkeit, die das Werk mit 225 km/h angibt. Doch das ist eine Untertreibung: In zeitgenössischen Tests läuft der „6.9“ meist deutlich über 230 Sachen.

Panik im Porsche, Teil 3

Friedel guckt wieder in den Rückspiegel. Und die Panik ist da. Statt zurückzufallen hat dieser verdammte Benz weiter Boden gut gemacht und ist mittlerweile im Windschatten des Porsche angekommen. Friedel ist bedient. Noch nicht mal eine Ausfahrt ist in Sicht, an der man so tun könnte, als hätte man eh abfahren wollen. Also lenkt er seinen 911er zähneknirschend nach rechts.

Rätselraten dank Sonderausstattung 261

Einen 450 SEL 6.9 auf Anhieb zu erkennen ist eine Sache für eingefleischte Kenner. Besonders dann, wenn der Wagen mit der Sonderausstattung Nummer 261 geordert wurde. Die steht nämlich für den Entfall der Hubraumbezeichnung auf dem Kofferraumdeckel. Fehlt dieser Hinweise, ist der „6.9“ nur noch durch die breiteren Reifen und die dickeren Auspuffendrohre von seinen normalen Serienbrüdern zu unterscheiden. Darüberhinaus ist die Sonderausstattung 261 das einzige Extra, das nicht extra bezahlt werden muss. Anders sieht das beispielsweise beim Bordtelefon aus: Satte 18000 DM müssen Menschen anno 1975 investieren, wenn sie immer erreichbar sein müssen oder wollen.

Panik im Porsche, Finale

Doch der Alptraum geht weiter. Der Mercedes überholt nicht etwa quälend langsam, er zischt geradezu vorbei! Das Schlimmste spielt sich aber im Innenraum ab: Fahrer und Beifahrer sind offenbar in einem Gespräch vertieft – völlig entspannt! Friedel bremst den Porsche in die Ausfahrt. Der Tag ist versaut. Und wenn er nicht herausgefunden hat, dass dieses Duell auf kurvigem Geläuf ganz anders ausgegangen wäre, dann ärgert er sich noch heute.

Höchstleistung auch beim Komfort

Auch die Fahrkultur des 450 SEL 6.9 ist während seiner Bauzeit nahezu unangreifbar. Die Basis dafür legt ein Fahrwerk, das serienmäßig mit Hydropneumatik-Federung und Niveauregulierung ausgestattet ist. Auch der Komfort im Innenraum liegt auf der Höhe der Zeit: Statt der heute unverzichtbaren Lederausstattung kommt der Top-Mercedes mit den seinerzeit extrem angesagten Velours-Bezügen daher. Leder kostete, genau wie beispielsweise elektrische Sitze oder Sitzheizung, extra. Dasselbe gilt für ein zukunftsweisendes Feature, das ab 1978 bestellbar war: ABS. Doch auch ohne Extras schlägt ein 450 SEL 6.9 in seinem Premierenjahr bereits mit 69930 DM zu Buche. Für dasselbe Geld gäbe es auch zwei 350 S … . Insgesamt 7380 Kunden können und wollen sich dennoch den Luxus leisten, in der seinerzeit schnellsten Limousine der Welt Terminen oder einfach dem schönen Leben hinterherzujagen.

Das sagt die Presse zum Mercedes-Benz 450 SEL 6.9



„Allerhöchster Fahrgenuss für den Kenner – und zwar bei jedem Tempo.“

Automobil Revue, Mai 1975



„Ein Auto mit dieser Geschwindigkeit und diesem Gewicht sollte eine vorzügliche Straßenlage und Handling haben, und dieses hier enttäuscht weder in der Haarnadelkurve noch in einer lang gezogenen Kehre.“

Car, Juni 1975



„Bei den Messungen […] ergaben sich für die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h 8,2 Sekunden, für den Kilometer mit stehendem Start wurden 28,8 Sekunden benötigt, und als Höchstgeschwindigkeit registrierten die Stoppuhren 234 km/h.“

Auto, Motor und Sport, Heft 21/1975

12 Bilder Fotostrecke | Hoch lebe der Hubraum!: Der Mercedes-Benz 450 SEL 6.9 feiert seinen 35. Geburtstag #01 #02

1 Kommentar

  • JUB

    JUB

    Ein toller Artikel. Vor allem die "Panik im Porsche"-Geschichte hat mich sehr gefreut, da ich finde, dass sich so mancher Porsche öfters zu Unrecht aufspielt. Leider gehen die Bilder in der Gallerie noch nicht. Liebe Grüße!

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