Der neue Formel 1 Silberpfeil im Detail

Die Technik des W13 unter den neuen Regeln

Der neue Formel 1 Silberpfeil im Detail: Die Technik des W13 unter den neuen Regeln
Erstellt am 21. Februar 2022

Es sind die tiefgreifendsten Regeländerungen seit langer Zeit in der Formel 1: Mit einer komplett neuen Aero-Strategie müssen alle Teams im Prinzip mit einem weißen Blatt Papier beginnen. Die Regeländerungen machen ein komplett neues Auto nötig, bei dem im Falle des neuen Silberpfeiles nur noch das Lenkrad aus dem Vorgänger stammt. In diesem Beitrag gibt es alle Hintergründe dazu aus erster Hand, denn Technik-Direktor Mike Elliott und Motorenchef Hywel Thomas stehen Rede und Antwort.

Die technischen Regeländerungen für die Saison 2022, die aufgrund der COVID-19 Pandemie von der F1 um ein Jahr nach hinten verschoben wurden, stellen eine grundlegende Änderung der Designregeln und eine der größten regulatorischen Änderungen dar, die der Sport je erlebt hat.
 
"Auf der Chassis-Seite sind die Änderungen enorm", sagt Mike Elliott, der Technische Direktor des Teams. "In meiner Karriere habe ich bislang noch nie so große Veränderungen gesehen. Man muss auf drei Aspekte achten: Zunächst die Art und Weise wie die Regeln aufgebaut sind, diese ist komplett anders, besonders bei der Aerodynamik - das hat einen großen Einfluss. Zweitens bedeutet das, was sie mit der Aerodynamik erreichen wollen, dass die Autos eine grundlegend andere Form haben. Drittens ist dies das erste Mal, dass wir eine so große Veränderung unter einem Budget-Cap angehen."

Alles neu für den Erfolg

Der W13 wurde von Grund auf neu entwickelt. Das Lenkrad ist das einzige Element, das von seinem Vorgänger übernommen wurde. Die Arbeit mit einem leeren Blatt Papier und einer so steilen Entwicklungskurve war für die Ingenieure in Brackley eine anregende Erfahrung, die sie sehr genossen haben.
 
"Ingenieure lieben Herausforderungen und dies ist eine fantastische Gelegenheit, um etwas Neues zu machen. In der Welt der Aerodynamik jagt man normalerweise nach winzigen Verbesserungen, aber bei solch großen Regeländerungen kann man große Fortschritte erzielen, was sehr befriedigend ist", erklärte Mike. "Auf der anderen Seite liegt eine erfolgreiche Phase hinter uns, in der wir acht Konstrukteurs-Titel in Serie gewinnen konnten - die Regeländerungen stellen nun einen Neuanfang dar. Alle Teams haben mit dem Modell, das die F1 zur Verfügung gestellt hat, bei null begonnen. Man übernimmt nicht die Vorteile vom Vorjahresauto oder kann dessen Schwächen beheben. Dadurch beginnen alle Teams auf dem gleichen Niveau."

Nachteile durch 2021er Erfolge

Die im Jahr 2021 eingeführten Beschränkungen für Aerodynamiktests, die das Feld angleichen sollen, bedeuten jedoch, dass den Teams die Entwicklungsmöglichkeiten in unterschiedlichem Umfang zur Verfügung stehen. Der Umfang der Aerodynamik-Tests wird auf Basis einer gleitenden Skala zugewiesen, die auf den Platzierungen der Teams in der Konstrukteurs-Wertung 2021 basiert.
 
"Die Teams haben mit einer unterschiedlichen Zuteilung von Testläufen im Windkanal und CFD (Computational Fluid Dynamics) begonnen. Dadurch kann sich das Kräfteverhältnis stark verändern", fügte Mike hinzu. "Für einen Ingenieur ist das eine spannende Aufgabe, aber es birgt natürlich auch ein gewisses Risiko, was unsere Wettbewerbsposition angeht."
 
Unter dem bisherigen technischen Reglement war die Detailgenauigkeit der Komponenten an den Autos viel größer, und kleine Aero-Flächen trugen im Zusammenspiel zu einem großen Teil der aerodynamischen Leistung bei. Im Jahr 2022 müssen die Teams Leistungssteigerungen durch grundlegendere Formänderungen und größere Komponenten als in den Vorjahren erzielen.
 
"Um die gewünschten Aerodynamikformen zu erreichen, mussten wir den Innenraum komplett umgestalten, bis hin zum elektrischen Layout und dem Einbau von Dingen wie der ECU. Die Aufhängung wurde überarbeitet, um den Wegfall der Hydraulik und der Remote-Federn zu berücksichtigen, die nach den neuen Vorschriften verboten sind. Sie werden hoffentlich auch sehen, dass wir einen weiteren Schritt gemacht haben, indem wir die Seitenkästen und die Motorabdeckung sehr eng gestaltet haben. Um dies zu erreichen, reicht es nicht, alles in Schrumpffolie zu verpacken, stattdessen erfordert es auch eine große Menge an Umgestaltung und Simulation, damit es am Ende auch funktioniert. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es eine gewaltige Arbeit war", so Mike Elliott.

Große Räder machen einen großen Unterschied

Ein auffälliger Unterschied bei den Fahrzeugen des Jahrgangs 2022 sind die neuen 18-Zoll-Räder, die die bisherigen 13-Zoll-Felgen ersetzen. Ihre Auswirkungen auf das Racing müssen noch abgewartet werden, aber die ersten Anzeichen sind positiv.
 
"Was wir bei den Tests, insbesondere beim Test in Abu Dhabi Ende 2021, gesehen haben, ist, dass es subtile Unterschiede gibt. Das verändert unsere Herangehensweise bei der Abstimmung, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung, da ich glaube, dass die Reifen dazu beitragen werden, das Racing zu verbessern. Sie werden nicht so leicht überhitzen und sind leichter zu handhaben", merkte Mike Elliott an.
 
Ein weiteres entscheidendes Element, mit dem sich die Ingenieure bei der Entwicklung des Autos für 2022 auseinandersetzen mussten, ist das Einfrieren bestimmter Komponenten, die nun für mehrere Jahre festgelegt sind, darunter das Getriebe und die Power Unit. Selten stand mehr auf dem Spiel, um beide Komponenten so leistungsstark wie möglich zu machen und gleichzeitig die Zuverlässigkeit zu erhalten.

Mit voller Power ins Jahr 2022 und darüber hinaus

Die Power Unit für die Saison 2022 baut auf den Weltmeister-PUs auf, die das Team von Mercedes AMG High Performance Powertrains (HPP) seit 2014 produziert hat. Obwohl die Regeländerungen für das Jahr 2022 auf Seiten der Power Unit nicht ganz so einschneidend oder auffällig sind wie auf der Chassis-Seite, war die Herausforderung nicht weniger beachtlich.
 
"Für 2022 wurde uns eine letzte Leistungsverbesserung zugestanden, die größtenteils zu Beginn der Saison erfolgen muss. Die ERS-Systemverbesserung muss danach vor dem 1. September eingeführt werden. Dies wirkt sich jedoch nicht nur auf 2022 aus, da die Performance-Spezifikation bis zum Beginn des nächsten Reglementzyklus im Jahr 2026 eingefroren wird", erklärt Hywel Thomas, Managing Director von Mercedes AMG HPP.
 
Für die Power Unit 2022 wurden mehr Teile verändert als bei allen vorherigen Versionen seit der Einführung der V6-Turbos im Jahr 2014. Ein Grund dafür ist, dass das Team hart daran arbeitet, sich in die bestmögliche Position für das Einfrieren der PUs zu bringen und damit die Performance für die folgenden Saisons zu erhalten.
 
"Das Projekt, das wir für 2022 in Angriff genommen haben, war sehr umfangreich, und es handelt sich um ein sehr umfassendes Upgrade der verschiedenen Elemente, um das letzte Quäntchen an Leistung, Effizienz und Zuverlässigkeit herauszuholen. Es gibt auch einige von der FIA vorgeschriebene Messungen, insbesondere beim ERS-System, die wir ebenfalls berücksichtigen mussten", fügte Hywel an.

Fahrzeug- und Motorentwicklung Hand in Hand

Beim kompletten Redesign des Chassis war die enge Zusammenarbeit zwischen dem Chassis-Team in Brackley und HPP in Brixworth von grundlegender Bedeutung, um alle Möglichkeiten zur Performancesteigerung voll auszunutzen.
 
"Das Chassis-Team hat sich sehr gewissenhaft und zügig durch das neue Reglement gearbeitet, um zu verstehen, wo die Möglichkeiten liegen und welche Bereiche für die Rundenzeit entscheidend sind. Wir nehmen Änderungen an der PU vor, die es dem Chassis-Team ermöglichen, das Reglement bestmöglich zu nutzen. Es kann sein, dass wir die Installation etwas umstellen oder das PU-Layout ändern wollen, um mehr Flexibilität in den Bereichen zu erhalten, die für die Rundenzeit wichtig sind", so Hywel.
 
Die für 2022 vorgeschriebene Einführung von E10-Kraftstoff, einer Mischung aus 10% Ethanol und 90% fossilem Kraftstoff, hat auch das Ingenieursteam in Brixworth vor große Herausforderungen gestellt. Die Formel 1 macht damit einen wichtigen Schritt in Richtung ihres Ziels, ab 2026 mit 100% nachhaltigem Kraftstoff anzutreten. In enger Zusammenarbeit mit unserem Titelpartner PETRONAS hat das Team mehr Kraftstoffkandidaten getestet und mehr Entwicklungsschleifen mit dem E10-Kraftstoff durchlaufen als in den Vorjahren.
 
"Das klingt nicht unbedingt nach einer großen Änderung, aber es ist eine ziemlich bedeutende Veränderung in der Art und Weise, wie der Kraftstoff und die PU zusammenwirken. Wir können auf eine gute Entwicklungsphase zurückblicken, in der wir sehr eng mit unserem Partner PETRONAS zusammengearbeitet haben. Das war absolut entscheidend", so Hywel.
 
Ein brandneues Chassis, kombiniert mit einer verbesserten und neu arrangierten PU, wird das Fahrverhalten des Autos auf der Strecke verändern. Entsprechend wird es im Laufe der Saison entscheidend darauf ankommen, welche Erkenntnisse wir daraus ziehen und wie schnell wir alles weiterentwickeln können.
 
"Die Fahrer werden wollen, dass die PU zu unterschiedlichen Zeiten in den Kurven und möglicherweise von einer Kurve zur nächsten aufgrund der Fahrzeugcharakteristik unterschiedliche Dinge tut. Die Dauer der Vollgasphase, die Art und Weise, wie die Fahrer die Kurven anfahren und aus ihnen wieder herauskommen, wird nicht mehr genau so sein wie früher, und das wird sich auch darauf auswirken, wie wir Energie zurückgewinnen und einsetzen."
 
"Ich denke, dass sich das Gesamtpaket des Autos im Laufe des Jahres aufgrund der Regeländerungen stark weiterentwickeln wird, so dass die Art und Weise, wie die PU zu Beginn der Saison funktioniert, bei den letzten Rennen 2022 nicht mehr dieselbe sein wird. Wir müssen die Anpassungsfähigkeit der PU von Beginn an einbeziehen, da ihre Leistung danach eingefroren wird", fügte Hywel hinzu.
 
Mit welchem Gefühl werden die Ingenieure im Laufe des heutigen Tages die erste Ausfahrt des W13 in Silverstone erleben?
 
"Für uns alle, die wir so sehr involviert sind, ist es sehr emotional, zu sehen, wie das Chassis und die PU zum ersten Mal gemeinsam die Boxengasse hinunterfahren", sagte Hywel. "Den Motor zu hören, sich zurückzulehnen und über all die Komponenten nachzudenken, die in diesem Auto zusammenarbeiten. All die Menschen, die harte Arbeit, der Aufwand. Es ist immer etwas überwältigend, und es ist ein schöner Moment, wenn man eine Nachricht zurück in die Fabrik schicken kann, dass das Auto gerade auf die Strecke gefahren ist."
 

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