Betrugsvorwürfe bei Reifentests

Nach dem Diesel-Skandal nun das Reifen-Gate?

Betrugsvorwürfe bei Reifentests: Nach dem Diesel-Skandal nun das Reifen-Gate?
Erstellt am 29. Februar 2016

Während der VW-Diesel-Skandal noch lange nicht ausgestanden ist, zieht am Horizont der Automobil-Industrie das nächste Unwetter herauf. Die finnische Finanzzeitung Kauppalehti erhebt schwere Vorwürfe gegen den Reifenhersteller Nokian Tyres. Der Vorwurf: Für Presse-Reifentests habe man gezielt Reifen mit erheblich besseren Eigenschaften angefertigt und ausgegeben, um bessere Ergebnisse zu erzielen und damit die Test zu eigenen Gunsten zu manipulieren. Dem Blatt liegen angeblich eindeutige Hin- und Beweise vor. In einem im Internet verbreiteten Interview gab Nokian-Chef Ari Lehtoranta zu: "Die Reifen wurden speziell für die Tests angefertigt und waren in ihren Eigenschaften den im Handel erhältlichen Modelle überlegen. Unsere Richtlinien verbieten ein solches Vorgehen nun. Ich kann versichern, dass wir seit Ende letzten Jahres keine speziellen Reifen mehr für Tests angefertigt haben."

Nokian bezieht Stellung

In einer heute verbreiteten Stellungnahme rückt man allerdings von einer gezielten Maßnahme ab und redet nur allgemein von "fragwürdigen Aktivitäten der Industrie". Weiter heißt es etwas umständlich: "Der Vorstand von Nokian Tyres hat niemals solche Aktienoptionspläne (gemeint sind wahrscheinlich Aktionen, Anm. d. Red) beschlossen, die zum Betrug bei Tests ermutigt hätten; das steht im Gegensatz zu dem, was in den Medien angedeutet wurde. Im letzten Jahr haben wir unsere Arbeitsprozesse überprüft. Gleich danach haben wir unsere Regeln für Testreifen geklärt, die nun ausdrücklich jedes Planen oder Herstellen von Reifen verbieten, die nur auf Automedien-Tests abzielen. Die Thematik wurde sofort von unserem Vorstand aufgenommen, und gemeinsam entschieden wir, diese Information von uns aus zu veröffentlichen." Zum Schluss entschuldigt man sich ausdrücklich und bedauert die Fehler in der Vergangenheit.

Unsicherheit beim Endkunden

Was heißt das nun genau für den Verbraucher? Zum einen muss dies nicht bedeuten, dass sämtliche Tests mit Nokian-Produkten manipuliert waren. Viele große Test-Organisationen und Auto-Medien besorgen sich die Test-Produkte vorsichtshalber im freien Handel, um genau solche Probleme zu vermeiden. Was bleibt ist allerdings die allgemeine Verunsicherung. Viele Endkunden, der Autor dieses Artikels eingeschlossen, haben sich aufgrund der sehr positiven Testergebnisse für Nokian-Reifen entschieden und fühlen sich nun zu recht betrogen. Zumal es in diesem Fall nicht um irgendwelche abtrakten Abgas-Werte, sondern um handfeste Sicherheitsfragen geht. Schließlich ist der Reifen die einzige Verbindung zur Straße und seine Eigenschaften von immenser Wichtigkeit, ja sogar im Zweifel entscheidend über Leben und Tod. Das klingt dramatisch, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Leider konnte man von Nokian nicht erfahren, inwiefern genau sich die getesteten Produkten von denen im Handel unterschieden. Nokian-CEO Ari Lehtoranta beteuert: "Hohe Qualität unserer Produkte ist die Grundlage von Nokian Tyres. Unsere Produkte sind auch Spitzenklasse in der Sicherheit!“

Tests sind immer problematisch!

Nun sollte man allerdings Nokian nicht zum alleinigen Sündenbock machen. Man kann (leider) davon ausgehen, dass solche Praktiken auch in anderen Konzernen und Branchen durchgeführt werden. Wo immer man von Herstellerseite Produkte zu Testzwecken zur Verfügung stellt, sind Manipulationen Tür und Tor geöffnet. Das gilt vor allem auch für Auto-Tests. Schon öfter ist bei Messungen aufgefallen, dass die Testwagen beispielsweise hinsichtlich der Motorleistung erstaunlich gut im Futter standen. Optimistisch betrachtet wäre das schön für alle Endkunden, wenn das tatsächlich der allgemeine Stand wäre. Allerdings ist anzunehmen, dass man die Testautos im Werk oder bei den Importeuren wenigsten handverliest, wenn nicht sogar speziell vorbereitet. Renault beispielsweise lässt Presse-Fahrzeuge speziell vorbereiten, um den besten Eindruck zu hinterlassen. Hierbei werden auch schon mal optische Unzulänglichkeiten ab Werk korrigiert, indem man silberne Radbolzen nachträglich schwarz lackiert, damit sie die teuren schwarzen Alufelgen nicht verschandeln oder eigentlich unlackierte Teile im inneren Sichtbereich nachlackiert. Das ist zwar kein Betrug, zeigt aber die Bemühungen der Industrie um die Presse-Tests.

Eine Lösung wäre sicherlich, Testobjekte grundsätzlich nur noch aus dem freien Handel zu beziehen. Aber bereits bei umfangreichen Reifentests stoßen die Medien hier an ihre finanziellen Grenzen, von Auto-Tests ganz zu schweigen. Stichpunktsartige Nachtests mit handelsüblichen Vergleichsobjekten sind hier sicherlich die bessere Wahl, um das Verantwortungsbewusstsein der Hersteller zu sensibilieren. Nokian zumindest wird ganz sicher keinerlei manipulierte Reifen mehr herstellen. Wer sich einmal die Finger verbrannt hat...

2 Kommentare

  • NJOY333

    NJOY333

    "Pressefahrzeug" bedeutet nicht gleich, dass so ein Fahrzeug auch gefahren wird!! Sehr oft sind es nur Fahrzeuge die auf Veranstaltungen/Messen stehen. Aber nicht unbedingt gefahren werden, oft werden solche Pressefahrzeuge nie von Presseleuten gefahren. Dies sind oft andere Fahrzeuge.
  • Edel

    Edel

    Bei Daimler gibt es doch auch ausgewiesene Pressefahrzeuge. Es wird extra darauf hingewiesen, wenn welchen laufen. Inwieweit sie später dann noch "optimiert" werden, ob es nur eine bessere Endabnahme gibt, oder ob sie doch normal durchlaufen, kann ich aber nicht sagen.

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