Vor 60 Jahren

Mercedes LP 315 - der erste Frontlenker ab Werk

Vor 60 Jahren: Mercedes LP 315 - der erste Frontlenker ab Werk
Erstellt am 5. März 2015

Lange Zeit stand Daimler-Benz den Frontlenkern äußerst skeptisch gegenüber, wagte dann aber doch Mitte der 50er Jahre den Schritt hin zu diesem Konstruktionsprinzip, auf das vor allem ausländische Kunden zunehmend Wert legten. Als erster Frontlenker ab Werk feierte der LP 315 im Juni 1955 Premiere. Kein Geringerer als der Fernverkehrsbestseller L 315, hervorgegangen aus dem L 6600 – seinerseits die erste Lkw-Neukonstruktion nach dem Krieg – sollte als Basisfahrzeug dienen.

Dessen Kennzeichen waren: spartanisch ausgestattete kurze Kabine; eine von anfangs 6,2 Tonnen (als L 6600 anno 1950) auf 7,2 Tonnen gewachsene Nutzlast (beim L 315 von 1954), Vorkammer-Diesel OM 315 mit 145 PS. Es gab im Lauf der Zeit zwar Bestrebungen, den Hauber L 315 doch noch mit einem Fernfahrerhaus zu versehen. Zusammen mit Wackenhut bosseln die Ingenieure an einer Art Kurzhauber, bei dem der Motor ein Stück weit in das Fahrerhaus hineinragt.

Auf diese Weise hoffen die Tüftler, eine Fernverkehrskabine herausschlagen zu können, ohne Abstriche bei der Ladefläche machen zu müssen. Über das Stadium des Prototypen kam die neue Entwicklung allerdings nicht hinaus. Schule macht dieses Verfahren dann freilich bei den Kurzhaubern, die Daimler-Benz ab 1958 sowohl in schwerer Version als auch in der mittelschweren Klasse bauen wird. Selbst bei den modernen Transportern der T1-Generation, die in Düsseldorf ab 1977 vom Band rollen sollen, wird sich Daimler-Benz noch dieses Bauprinzips bedienen.

Sitze und Pedalerie wandern nach vorn

Wer den Hauber L 315 dennoch als Frontlenker und mit langer Schlafkabine haben wollte, der kam nicht darum herum, selbst Hand anzulegen oder anlegen zu lassen. Fahrzeugfabriken wie Wackenhut, Schenk, Kässbohrer oder Kögel waren darauf spezialisiert, Hauber-Fahrgestelle zu Frontlenkern umzubauen und ihnen eigene Fahrerhäuser und Aufbauten zu verpassen. Was durchaus mit einiger Arbeit verbunden war. Hatte doch nicht nur der Sitz nach vorn zu rücken und die Lenksäule steiler zu stehen. Auch die Pedalerie musste mit nach vorn wandern, und am Schaltgestänge galt es ebenfalls zu bosseln.

So war es für Daimler-Benz trotz aller Skepsis gegenüber dem Frontlenker nur logisch, die Option auf Fahrzeuge dieser Bauweise endlich auch ab Werk zu bieten. Zumal Mitte der 50er-Jahre die internationale Nachfrage nach Frontlenkerkabinen deutlich zunimmt und kommende, sehr restriktiver Vorschriften für Maße und Gewichte dieser Konstruktion auch in Deutschland kräftigen Rückenwind bescheren.

Das „L“ in der Typenbezeichnung des LP 315 steht wie gewohnt für „Lastwagen“, während das neu hinzutretende „P“ nun „Pullman“ bedeutet. Der Begriff stammt aus dem amerikanischen Eisenbahnbau: Als „Pullman-Trains“ hatten einst stromlinienförmige Personenzüge des Erfinders George Mortimer Pullman in den USA Furore gemacht.

Wackenhut liefert die Kabine

Just von der anderen Seite des Schwarzwalds ließ sich das Werk in Gaggenau die Pullman-Kabinen zuliefern, die im Prinzip einzig für den Export vorgesehen waren. Doch dauert es nicht lange, bis erste Exemplare auch mit deutscher Zulassung ihre Bahn ziehen. Wackenhut mit Sitz in Nagold hatte diese langen Fahrerhäuser mit Schlafkabine nach Vorgaben für die Marke Mercedes-Benz entwickelt und sollte die ersten Frontlenker-Fahrerhäuser auch noch einige Jahre bauen, bis Daimler-Benz deren Fertigung selbst in die Hand nimmt.

Weiche Rundungen verleihen dieser Konstruktion eine sympathische Anmutung, Anklänge an das die Frontdesign der Mercedes-Benz Omnibusse sind wahrscheinlich durchaus beabsichtigt. Für den Fahrer aber bedeutet es einen Rückschritt, dass nun ein Motortunnel wuchtig ins Innere seines Reichs hineinragt und der Motor sich dort natürlich auch besonders deutlich zu Gehör bringt.

Sitzplatz für vier Mann sowie zwei Liegen

Andererseits bietet ihm die große Kabine einen Luxus, den er im kurzen Fahrerhaus des Haubers L 315 vergeblich sucht. Zwei Liegen beherbergt die LP-Kabine in ihrem Heck: „Bei Ruhepausen oder während Nachtfahrten können die hinteren Sitze mit ein paar Handgriffen in zwei bequeme Liegestätten verwandelt werden“, hebt ein zeitgenössischer Prospekt die Vorteile der langen Kabine hervor. Überhaupt saß der Fahrer zu dieser Zeit noch selten allein im Lkw. Da war es schon von Nutzen, dass die LP-Kabine „vier Personen reichlich Platz bietet“, wie der Prospekt außerdem betont.

Aber auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten spricht einiges für den neuen Frontlenker, den das Werk dank der kompakten Bauweise des Fahrerhauses gleich mal serienmäßig mit sechs Meter langer Pritsche liefern kann. Zum Vergleich: Der Hauber L 315 fuhr beim Kunden serienmäßig nur mit Fünfmeterpritsche vor.

Bei der Nutzlast spielt der L 315 in der obersten Liga

Ein etwas knapperer Radstand als beim Hauber (4.200 statt 4.600 Millimeter) kommt obendrein der Nutzlast zugute. „Achsbelastung noch günstiger“ bringt das die Werbung auf den Punkt. Woraus beim LP 315 satte 8,2 Tonnen Nutzlast resultieren. Das ist deutlich mehr als beim Hauber L 315. Und mit dieser Nutzlast spielt der LP 315 trotz seines zulässigen Gesamtgewichts von 14.900 KIlogramm denn auch schon in einer ganz anderen Liga, in die der Hauber nie vorstoßen konnte: in der Liga der teuren Flaggschiffe mit 16-Tonnen Gesamtgewicht und 180 bis 200 PS starken Motoren, in der sich immerhin sechs deutsche Hersteller tummelten. Doch kostete solch ein 16-Tonner ungefähr 50.000 Mark, während der LP 315 bereits für rund 35.000 Mark zu haben war. Die Preisdifferenz von 15.000 Mark entspricht zu dieser Zeit immerhin dem Wert eines kompletten dreiachsigen Anhängers.

Die Motorpflege geht „unter Dach“ vonstatten

Die kompakte Bauweise des LP 315 und der kürzere Radstand äußern sich zudem in erhöhter Wendigkeit. Statt 18,5 Meter wie beim Hauber sind’s beim Frontlenker LP 315 nur rund 17 Meter, die das Fahrzeug für eine Kehre braucht. In Fragen von Wartung und Reparatur ist dem LP 315 der starr montierten Kabine wegen aber im Vergleich zum äußerst wartungsfreundlichen Hauber ein eher sperriges Wesen zu Eigen. Zwar preist das Werk als Vorteil an, dass der Motor mühelos vom Inneren des Wagens aus, und zwar „sozusagen unter Dach“, gepflegt werden könne.

Doch schon fürs Nachfüllen von Öl gilt es jedesmal, die gewichtige, an der Rückwand in Scharnieren gelagerte Motorabdeckung nach oben zu klappen. Eine Übung, die dem Fahrer schnell in Fleisch und Blut übergegangen sein wird: Den Ölverbrauch des OM 315 beziffern Werksangaben auf 0,4 Liter pro 100 Kilometer. Es sei sogar möglich, ist im Prospekt zu lesen, „bei eingebautem Motor den Zylinderkopf abzunehmen“. Doch führt bei größeren Reparaturen am Motor des LP 315 kein Weg daran vorbei, den Sechszylinder-Diesel erst mal nach vorn auszufahren.

Große Bandbreite an Varianten

Die Produktion dieser ersten Frontlenker läuft bis 1957. Der LP 315 ist in verschiedenen Radständen als Pritschenwagen, Kipper, Sattelzugmaschine sowie als Fahrgestelle lieferbar und hält sich nicht nur beim Motor, sondern auch beim Rest der Technik strikt an die bewährten Gegebenheiten des Haubenbruders L 315: Sechsgang-Klauengetriebe, 70 km/h Höchstgeschwindigkeit sowie U-Profilrahmen mit blechgepressten Quertraversen.

Der Zuspruch, den dieser erste Frontlenker ab Werk findet, bleibt indes zögerlich. Produziert das Werk vom Hauber L 315 zwischen 1950 und 1958 exakt 13.735 Einheiten, so erreicht der Frontlenker LP 315 in der ihm zugewiesenen Spanne bis 1957 eine Stückzahl von 2.480 Exemplaren.

10 Bilder Fotostrecke | Vor 60 Jahren: : Mercedes LP 315 - der erste Frontlenker ab Werk #01 #02

Passende Themen

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Login via Facebook

Community